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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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Für den Almgang gerüstet, den Bergstecken in der Faust, trat Anna aus der Haustür. Über das blonde Haar hatte sie einen niederen, grünen Strohhut mit heruntergebogener Krempe gestülpt. Die Füße steckten in genagelten Bergschuhen. Ihr Blick ging über den Hof zu den Bergen hinauf, auf deren Spitzen noch Schnee lag.
    Dann trat sie zum Karren hin und half dem Vater, die Körbe festzubinden.
    In diesem Augenblick kamen die Franzosen in den Hof. Jean überreichte dem Bauern den Zettel.
    »Von Emma«, sagte er.
    Mit gerunzelter Stirn las der Grundhofer die schnell hingeworfenen Sätze. Dann nickte er grimmig.
    »Gedacht hab ich mir’s aber. So ein Misthakl.« Und zu Jean gewandt: »Führ den Haflinger raus und spann ihn ein.«
    »Was ist, Vater?«, fragte Anna.
    »Der Schleicher wird uns die Polizei auf den Hals hetzen, wegen der Schwarzschlachtung. Die Emma schickt uns eine Warnung.«
    Er drehte sich auf dem Absatz um und ging in die Küche.
    »Horch einmal, Mutter, wenn die Polizei kommen sollte, wir haben vom Hölzl zwanzig Pfund Schweinernes zu leihen genommen.«
    Erschrocken schaute die Frau ihn an. »Hat denn er wenigstens einen Schlachtschein gehabt?«
    »Ja, ja, da fehlt nichts.«
    »Hast wenigstens das andere gut weggeräumt?«
    Trocken lachte der Bauer vor sich hin. »Da können s’ acht Tag lang suchen und finden nichts. Sei bloß ganz ruhig, und schimpf nicht wieder über den Krieg. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Der Franko ist zwar nicht zu fürchten, aber der Federl ist ein Spinner.«
    Zehn Minuten später zogen sie aus dem Hof. Anna ging voraus, der Grundhofer mit dem Fuhrwerk hinterher. Auf einem Feldweg kamen sie hinunter zur Riss, überquerten die hölzerne Brücke, dann ging es ein Stück steil bergauf bis zum Wald. Immer weiter blieb das Dorf zurück. Schneeweiß stand die Kirche auf ihrem Hügel, umgeben von der Friedhofsmauer. Im Pfarrgarten blühten die Kirschbäume, das Leben im Dorf war erwacht.
    Kurz bevor sie in den Wald einbogen, hielt der Grundhofer den Gaul an und rief nach vorn, dass Anna einen Augenblick warten möge. Dann stieg er über den Weidezaun und ging auf den Einödhof zu, dessen Dach man unter den blühenden Birnbäumen schimmern sah. Der Hölzl stand gerade auf dem Misthaufen und sprang herunter, als er den Grundhofer kommen sah.
    »Hör zu, Adam«, überfiel der Grundhofer ihn gleich ohne jede weitere Einleitung. »Wenn die Polizisten zu dir kommen und nachfragen sollten, ich hab von dir zwanzig Pfund Fleisch zu leihen genommen.«
    »Aha, aus dem Loch pfeift der Wind«, grinste der Hölzl und suchte in der Jackentasche nach seiner Pfeife. »Hast einem Hutzifackerl versehentlich das Beil auf den Kopf fallen lassen.«
    »Hutzifackerl ist gut. Zweieinhalb Zentner hat sie gehabt. Und der Schleicher muss was in die Nase gekriegt haben. Also, du weißt Bescheid, Adam.«
    »Fehlt nichts, Peter. Was gibt es sonst? Hat euer Matthias schon geschrieben?«
    »Immer noch nicht. Und die deinen?«
    »Ja, vom Wastl haben wir gestern einen Brief gekriegt. Vom Alois haben wir auch schon sechs Wochen nichts mehr gehört. Weißt du sonst was Neues? Ist der Schwindel schon bald gar?«
    »Ich hab nichts abhören können heute Nacht. Ich trau dem Schleicher nicht übern Weg. Aber lang kann es ja nimmer dauern.« Der Grundhofer warf einen Blick auf den ziemlich hohen Misthaufen. Tief unter dem Mist lag die St.-Josefs-Glocke in einem dicht abgeschlossenen Bretterverschlag. »Auf den Tag freu ich mich heut schon, wenn die wieder läutet. Dann wissen wir, dass wir es hinter uns haben. Also, Adam, mach’s gut.«
    »Du auch, Peter. Treibst du schon auf die Alm?«
    »Ja, mir geht’s Futter aus. Behüt dich, Adam.«
    Eine Stunde später kamen sie auf der Niederalm an. Die Kühe sprangen gleich übermütig, wie berauscht von so viel saftigem Grün, mit aufgedrehten Schwänzen über das Almfeld dahin, bis sie nach einer Weile ruhig zu grasen begannen. Anna hatte alle Fenster aufgerissen und sich mit dem Inhalt der Kisten und Körbe wohnlich eingerichtet. Danach saß sie mit dem Vater auf der Bank. Die Sonne schien herrlich warm, es konnte kein Wind in den Kessel kommen. Schwalben huschten geschäftig hin und her und einmal sah man drei Rehe langsam über den Grat wandern. Eine Stille war ringsum wie in einer Kirche, bevor die Orgel erklingt.
    »Am liebsten würde ich selber hier oben bleiben«, sagte der Grundhofer und seufzte. Daran erkannte Anna, wie schwer er alles trug, und sie schob ihre
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