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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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Hand in die seine. Sie hing mit tiefer Liebe an diesem Mann, der nie klagte und der so empfänglich war für alles, was nach Trost aussehen mochte, weil er der Meinung war, nur ihm allein stände es zu, andere aufzurichten. Solange Anna denken konnte, hatte sie den Vater noch nie schwach oder unentschlossen gesehen. Nur in letzter Zeit war etwas Grüblerisches in seine Züge gekommen und manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, ließ er die Schultern nach vorn sinken wie unter einer schweren Last. Zu anderer Zeit hätte er es sich auch verbeten, dass eine Hand die seine streichle. Jetzt aber hielt er ganz still.
    »Es wird nicht mehr lange dauern, Vater«, sagte Anna.
    »Bis du im Herbst wieder vom Berg herunterkommst, wird alles vorbei sein«, antwortete er. »Aber wir wissen nicht, was in der kurzen Zeitspanne noch alles passiert. Und wenn der Matthias nicht mehr zurückkäme – «
    »Daran sollst du nicht denken, Vater.«
    »Ich muss es aber.«
    »Aber dadurch wird nichts besser.«
    Vom Berg herunter kam der Schrei eines Habichts und der Grundhofer blickte hoch. Wie ein silberner Punkt schwebte der Vogel dahin, stand dann über den Fichtenwipfeln eine lange Weile ganz unbeweglich, bis er mit einem scharfen Stoß herunterfiel. Er war so nahe jetzt, dass man in seinen Fängen die Beute sah, mit der er hochzog.
    »Wie der Schleicher«, sagte der Bauer nachdenklich und stand auf. »Der wartet auch auf einen günstigen Augenblick, dann haut er einem die Krallen hinein.«
    »Es wird nichts vergessen werden«, sagte Anna.
    Der Grundhofer sah seine Tochter aufmerksam an. »Alles wird vergessen werden, Anna. Man soll ja nicht Schlechtes mit Schlechtem vergelten und uns Menschen steht die Rache nicht zu. Wer kümmert sich danach, wenn das große Elend vorbei ist, noch um so einen armseligen Wurm, wie der Loferer es im Grunde genommen ist.«
    »Es denken nicht alle so wie du, Vater.«
    »Ja, das weiß ich. Und wenn er schlau ist, verschwindet er rechtzeitig. So – jetzt werde ich mich langsam auf den Heimweg machen.«
    Er ging an den Zaun, wo das Geschirr des Haflingers aufgehängt war. Ein kurzer Pfiff mit den Fingern und der Gaul kam hinter der Almhütte hervor.
    »Glück und Segen, Anna«, sagte der Bauer und reichte dem Mädchen die Hand. Dann ging er hinter dem Karren her in Richtung Tal.
    Acht Tage später säten die Leute vom Grundhof auf dem Bergacker den Hafer. Es war ein Morgen voll goldener Schönheit. Kaum eine Wolke stand am Himmel und es war kaum daran zu denken, dass so viel Schönheit in knapp vierundzwanzig Stunden weggewischt sein könnte. Und doch würde es so sein, denn der Wind kam mit Ofenwärme von Süden her und die Berge hatten jenes trockene Blau und waren greifbar nahe – das sicherste Anzeichen für einen baldigen Wetterumschwung.
    Der Grundhofer hielt die Leitstange der Sämaschine wie ein Spielzeug in den Händen, obwohl bald das eine, dann das andere der hohen Räder sich plumpsend aufhob, wenn es über einen großen Stein lief. Aber seine Hände hielten fest wie Eisenklammern. Neben ihm trippelte die Natascha und säuberte mit einem Stecken die Pfeifen der Sämaschine, wenn Steine sie verstopfen wollten.
    Jean eggte mit einem Ochsengespann die Körner unter die Erde, weil man bei Kriegsbeginn zwei Pferde vom Grundhof geholt hatte und das Dieselöl für den Traktor nur spärlich zugeteilt wurde. Auf diesem Bergacker hätte man sowieso nicht mit dem Traktor arbeiten können. Da waren immer noch Pferde und Ochsen das Beste.
    Beim Umwenden setzte der Grundhofer die Maschine genau eine Handbreit neben die Saatreihe, die er gerade eben gezogen hatte. Dann schaute er plötzlich auf. Ein horchender Ausdruck kam in sein Gesicht. Zugleich vernahm auch Natascha das eigentümliche Geräusch, das fern über den Bergen heraufstieg.
    »Hü«, sagte der Bauer und trieb die Füchse mit dem Leitseil an, dass die Maschine einen heftigen Ruck machte und Natascha sich beeilen musste mitzukommen. Es war gerade, als ob der Grundhofer mit seinem Gespann vor etwas davonrennen wollte. Das Kettenzeug der Sämaschine klirrte durcheinander und übertönte für eine kleine Weile das näher kommende Geräusch.
    Und dann war die träumende Mittagsstille von einem gewaltigen Summen durchbrochen, das immer stärker wurde und schließlich zu einem tiefen Gebrumm anschwoll.
    Jean hielt sein Gespann an und starrte zum Himmel hinauf. Was manchem anderen Angst und Schrecken einjagte, bewirkte in ihm ein herrlich befreiendes
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