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Der Traurige Polizist

Titel: Der Traurige Polizist
Autoren: Deon Meyer
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    In der Nachmittagsstille des letzten Tages des Jahres dachte Mat Joubert an den Tod. Seine Hände waren mechanisch damit beschäftigt,
     seine Dienstwaffe zu reinigen, die Z88. Er saß in seinem Wohnzimmer im Sessel und beugte sich vor, die Teile der Pistole lagen
     zusammen mit Lappen, Bürsten und einer Öldose auf dem Couchtisch. Die Zigarette im Aschenbecher ließ einen dünnen Rauchfaden
     aufsteigen. Über ihm flog eine Biene mit monotoner Regelmäßigkeit gegen die Fensterscheibe, ein irritierender Versuch, hinauszugelangen
     in den Sommernachmittag draußen, den ein leichter Südostwind abkühlte.
    Joubert nahm das Geräusch nicht wahr. Sein Geist wanderte ziellos durch die Ereignisse der letzten Wochen, beschäftigte sich
     mit den verschiedenen Todesfällen, seinem täglich Brot. Eine Weiße, die auf dem Rücken in der Küche lag, den Bratenwender
     in der rechten Hand, das Omelett verkohlt auf dem Herd, das Blut nur ein weiterer Farbtupfer in dem hübschen Zimmer. Im Wohnzimmer
     der Junge, neunzehn, in Tränen aufgelöst, die R3 240 in der Tasche seiner Lederjacke; er sagte wieder und wieder den Namen
     seiner Mutter.
    Der Mann in den Blumen, eine angenehmere Erinnerung. Ein würdevoller Tod. Er erinnerte sich an die Detectives und uniformierten
     Polizisten auf dem offenen Industriegelände zwischen den grauen Fabrikgebäuden. Sie bildeten einen |8| Kreis, sie standen knietief in Wildblumen, die ihre gelben, weißen und orangefarbenen Köpfe reckten. In der Mitte dieses Kreises
     von Ermittlern lag die Leiche eines Mannes mittleren Alters, er war relativ klein. In einer Hand hielt er eine leere Flasche
     Fusel. Er lag mit dem Gesicht nach unten, preßte die Wange gegen den Boden.
    Seine Augen waren geschlossen, und mit der anderen Hand umklammerte er ein paar Blumen, die mittlerweile verwelkt waren.
    Mat Joubert erinnerte sich vor allem an die Hände.
    Am Strand von Macassar. Drei Personen. Der Gestank von verbranntem Gummi und verkohltem Fleisch hing noch in der Luft; die
     Gesetzeshüter und Medienvertreter bildeten eine Barriere im Wind des Schreckens der schrecklichen Halskettenmorde.
    Die Hände. Klauen. Sie reckten sich himmelwärts, als flehten sie auf ewig um Gnade.
    Mat Joubert war des Lebens müde, aber so wollte er nicht sterben.
    Mit Daumen und Zeigefinger schob er die fünfzehn 9-mm-Patronen, eine nach der anderen, in das Magazin. Die letzte glitzerte
     kurz in der Nachmittagssonne. Er hob die Patrone auf Augenhöhe, er balancierte sie zwischen Daumen und Zeigefinger, er starrte
     die schimmernde Spitze an.
    Wie würde es sein? Wenn man sich den düsteren Mund der Z88 zärtlich gegen die Lippen preßte, wenn man dann den Abzug drückte,
     sorgsam, langsam, respektvoll. Würde man das Eindringen des spitzen Projektils noch schmerzhaft spüren? Würden einem Gedanken
     durch die unbeschädigten Bereiche des Hirns fluten? Empfand man Feigheit, bevor die Nacht einen umhüllte? Oder geschah alles
     so schnell, daß es |9| der Klang des Schusses nicht einmal von der Pistole bis zum Ohr und weiter zum Hirn schaffte?
    Das fragte er sich. War es für Lara so gewesen?
    War ihr Licht einfach erloschen, ohne daß sie etwas von der Hand auf dem Schalter mitbekommen hatte? Oder hatte sie es gewußt
     und in jenem kürzesten Augenblick zwischen Leben und Tod alles gesehen? Hatte sie Reue empfunden oder ein letztes Mal höhnisch
     gelacht?
    Darüber wollte er nicht nachdenken.
    Das neue Jahr würde am nächsten Tag beginnen. Dort draußen gab es Menschen mit Plänen, Träumen, Vorsätzen und Begeisterung
     und Hoffnung für das neue Jahr. Und er saß hier.
    Morgen würde bei der Arbeit alles anders sein. Ein neuer Mann, eine politische Entscheidung. Die anderen redeten von nichts
     anderem mehr. Joubert war es gleichgültig. Er wollte es nicht mehr länger wissen. Nichts vom Leben, nichts vom Tod. Es war
     nur noch etwas, das es zu überleben galt, das man zur Kenntnis nahm, das einem die Lebenslust austrieb und den gnadenlosen
     Sensenmann näher heranlockte.
    Er schob das Magazin mit der ausgestreckten linken Hand in den Griff hinein und steckte die Waffe mit Schwung in ihre Lederhülle.
     Das Öl und die Lappen verschwanden in der alten Schuhschachtel. Er zog an seiner Zigarette, stieß den Rauch in Richtung Fenster
     aus. Dann sah er die Biene, er hörte ihre Erschöpfung, die das Surren der Flügel verlangsamte.
    Joubert stand auf, zog den Vorhang beiseite und öffnete das Fenster.
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