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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Titel: Licht und Dunkelheit
Autoren: Kerstin Rachfahl
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würde zu den Frauen herüberschauen und sie womöglich erkennen. Aber dann versicherte sie sich, dass er ihr Gesicht nicht gesehen haben konnte, da er ja hinter ihr aufgetaucht war. Sie hob ihre Augen und wagte einen Blick auf den Mann – und war bis ins Mark erschüttert.
    Lord Otis überragte den Hausherrn fast um einen Kopf, sein welliges Haar war tiefschwarz, dichte Augenbrauen lagen über dunkelbraunen Augen. Den Bart, wie die Männer ihn sich auf ihren Reisen stehen ließen, hatte er abrasiert, was ihm mit der sonnengebräunten Haut der oberen Gesichtshälfte ein seltsam geschecktes Aussehen verlieh. Eine Narbe, die sich von der Mitte seines Kinns quer über die Nase, das linke Auge und die Stirn zog, teilte die linke Braue in zwei Hälften. Diese Mischung aus Finsternis und perfekten Proportionen machte sein Gesicht anziehend und abstoßend zugleich. Zusammen mit seinem schlanken, kampfgestählten Körper, den breiten Schultern, wirkte sein Auftreten furchteinflößend.
    Levarda glaubte zum ersten Mal den Geschichten der Frauen darüber, dass es Feinde gegeben habe, die sich beim Anblick von Lord Otis auf seinem Hengst Umbra lieber gleich ergaben. Auch wenn das ein wenig übertrieben schien – Levarda konnte kaum an diesem Mann vorbeisehen. Sie fühlte, wie sie zu zittern begann und wie sie nur mit Mühe den Drang unterdrücken konnte, aufzustehen und zu fliehen. Sie hatte geglaubt, einen ersten Blick auf ihn zu werfen, doch Lord Otis war ihr mehr als einmal zuvor begegnet! – Er war der Mann aus ihren Träumen.
    Sie schloss die Augen, verstört von den vielen Bildern, die durch ihren Kopf jagten, durch den Schmerz, den diese Bilder verursachten. Panik kroch in ihr hoch. Sie sprach in ihrem Kopf das Mantra, welches ihr Meister und sie nach und nach in den vergangenen Jahren gefunden hatten, um den Albtraum zu vertreiben. Es verfehlte auch diesmal nicht seine Wirkung. Langsam beruhigte sich ihr Innerstes und sie konnte wieder atmen. Sie durchlebte ihren Traum, sah sich durch einen Wald rennen, verfolgt von einem Mann, der Dunkelheit hinter ihr her schleuderte. Eine Hetzjagd. Dann stolperte sie, die dunkle Energie umschlang sie, brannte auf ihrer Haut und brachte solche Schmerzen, dass sie schier den Verstand verlor. Da stand er lachend über ihr, mit glühenden, schwarzen Augen, zückte sein Schwert und durchstach ihr Herz. So endete ihr Traum, mit der Kälte des Metalls, das ihr Herz durchschnitt.
    Sie spürte ein Zupfen an ihrem Ärmel. Levarda schlug die Augen auf und stellte entsetzt fest, dass die Blicke aller Festbesucher auf sie gerichtet waren. Sie saß als Einzige noch, während die Anwesenden sich erhoben hatten, um mit ihrem Becher Lord Otis zuzuprosten. Hastig stand sie auf. Ihre Beine zitterten, und ohne Lady Eilas Hilfe hätte sie sich nicht halten können. Sie trank einen winzigen Schluck und ließ sich dankbar auf ihren Stuhl sinken, nachdem sich die hohen Herrschaften gesetzt hatten.
    »Was ist mit Euch, Lady Levarda? Ist Euch nicht gut?«, flüsterte Lady Eila besorgt.
    »Mir ist ein wenig unwohl, vermutlich habe ich mich heute körperlich zu sehr verausgabt.«
    »Das wundert mich nicht, es gibt einen Grund, warum Frauen nicht reiten sollen. Die körperliche Anstrengung ist viel zu groß. Sicher werdet Ihr mir bald zustimmen, wenn es für Euch auch ein Ende hat, glaubt mir.«
    Levarda musste Lady Eila zugutehalten, dass sie aufrichtig freundlich sein wollte. Die Abneigung der Frauen, sich körperlich zu betätigen, war groß. Jeder Weg, jede Treppe, schien ihnen zu viel. Die Idee, für einen Spaziergang hinauszugehen oder einen Ausritt zu machen, wäre ihnen nie gekommen.
    Levarda verbiss sich eine Bemerkung. Sie senkte den Blick auf ihren Teller. Mit konzentrierten Schnitten zerteilte sie ihr Fleisch und schob ein Stückchen in ihren Mund. Beim Kauen schloss sie die Augen, um sich zu beruhigen, sodass ihre Hände mit dem Zittern aufhörten. Sie fühlte, dass Lady Eila sie beobachtete.
    »Seid Ihr sicher, dass es Euch gutgeht?«
    »Ja, gewiss«, murmelte sie.
    Ein verschmitzter Ausdruck trat in Lady Eilas Gesicht. »Ich dachte im ersten Moment, Lord Otis sei der Grund für Eure Schwäche gewesen.«
    Levarda verschluckte sich beinahe an ihrem Stück Fleisch. Sie fühlte Röte in ihr Gesicht schießen.
    Das Lächeln ihrer Nachbarin vertiefte sich. »Und ich dachte immer, Ihr wäret an Männern nicht interessiert.«
    Einen Moment war Levarda versucht, ihr eine passende Antwort zu geben, doch
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