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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Titel: Licht und Dunkelheit
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Stimme des zweiten Wächters.
    Levarda überlegte fieberhaft, wie sie ihre Anwesenheit bei den Ställen erklären sollte. Als Magd konnte sie sich hier auf keinen Fall ausgeben. In diesem Land hätte sie fern von Haus und Garten nichts zu suchen. Außerdem verriet sie ihre Kleidung, die trotz ihrer Schlichtheit doch kostbar war. Nur gut, dass der lange, ausladende Saum ihres Kleides wenigstens die Stiefel und Beinkleider verbarg. Die Wahrheit würden die Wachen nie akzeptieren, denn eine Lady pflegte sich nicht in Stallnähe aufzuhalten oder gar zu reiten, aber ihr Rang konnte sie vielleicht vor weiteren Fragen schützen. Schließlich war Hierarchie in diesem Land von höchster Bedeutung.
    Sie straffte die Schultern, hob ihren Kopf so weit, dass sie gerade eben an den Männern vorbeisah. Direkter Blickkontakt ziemte sich für eine Frau nicht gegenüber Männern.
    »Ich bin Lady Levarda«, sagte sie sittsam, »und mein Weg führte mich nur zufällig hier vorbei.«
    Die beiden musterten sie unverändert mit drohender Haltung. Sie sah die Hand des einen Mannes auf dem Heft seines Schwertes ruhen. Während sie über den Grund dafür nachdachte, hörte sie schrilles, wütendes Wiehern aus dem Stall, ein Splittern, das Donnern von Hufen auf Stein. Dann preschte ein Pferd aus der Stalltür direkt auf sie zu.
    Erschrocken fuhren die Wächter herum. Der Hengst bäumte sich vor den Lanzen auf, die Spitze der einen zeigte mitten auf seine Brust. Der Wächter würde das Tier schwer verletzen oder selbst von den Hufen getroffen werden.
    Levarda reagierte instinktiv. Mit einem Sprung riss sie den Soldaten mit sich zu Boden, sah aus dem Augenwinkel den anderen zur Seite springen. Sie stützte sich mit einer Hand, drehte den Oberkörper, um aufzuspringen und das Pferd zu beruhigen, da sah sie einen weiteren Mann von hinten aus dem Schatten treten und hielt inne.
    Mit erhobener Hand näherte er sich dem Hengst, und das Tier beruhigte sich augenblicklich, lehnte den Kopf an seine Schulter und ließ sich von ihm die Stirn reiben. Leise sprach er dem Pferd ins Ohr.
    Levarda stemmte sich aus ihrer prekären Lage auf der Brust des Wächters hoch. Nur schnell jetzt, hier gab es nichts mehr zu erklären. Sie rannte den Weg zurück, schlüpfte durch die Tür und hetzte die Treppe hoch in den Trakt der Frauen und bis in ihr Zimmer.
    Sie warf die Tür hinter sich zu und ließ sich auf den Boden fallen. Was für ein Schlamassel! Prächtig hatte sie sich aufgeführt als zukünftige Lady im Hofstaat der hohen Gemahlin! Zerzaustes Haar, verdreckte Kleider, am Stall erwischt und sich zuletzt noch auf einen Wächter geworfen – einen Soldaten! Was nutzte es da, dass sie die Augen damenhaft gesenkt hatte?
    Sie stöhnte auf und kontrollierte ihre Atmung, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Es war klar, wer der Mann war, der das Pferd aufgehalten hatte. Die Schönheit seines Hengstes, Umbra, wurde in den Liedern besungen, doch was waren Lieder im Vergleich zu dieser Statur, den Muskeln, der Kraft, den schlanken Fesseln dieses stolzen Tieres? Die Farbe seines Fells erinnerte Levarda an glänzend marmorierte Kastanien. In dem wachen Blick des Pferdes hatte sie Intelligenz schimmern sehen.
    Der Mann, an dessen Schulter das Pferd sich geschmiegt hatte, war sein Herr – Lord Otis!
    Levarda konnte nur hoffen, dass er sich ihre Anwesenheit, ihr ungebührliches Verhalten mit Neugier erklärte oder noch besser, dass er sie nicht bemerkt hatte.
    Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich. Sie würde so tun, als wäre das alles nicht geschehen. Warum nur hatte sie ihren Namen genannt? Aber wahrscheinlich vergaßen die Wächter ihn über dem Schreck, das kostbare Tier beinahe verletzt zu haben. Und Lord Otis? Ihre Stimme war zurückhaltend und leise gewesen, er konnte sie nicht gehört haben, außerdem hatte er in diesem Moment doch nur auf sein Pferd geachtet.
     
    Sie war zu spät. Auf die Schnelle frisch zurechtgemacht und in ein sauberes Gewand gekleidet betrat Levarda mit klopfendem Herzen den Vorraum der Frauengemächer. Lautes Schnattern nahmen ihre Sinne zuerst wahr, dann glitzernde, bunte Farben, kunstvolle Hochsteckfrisuren, rot geschminkte Lippen, eine Mischung betörender Düfte, die ihr den Atem raubte – und ihre Cousine, in all ihrer Pracht.
    Levarda blieb an der Tür stehen und verspürte den Drang, in ihre Gemächer zurückzukehren.
    Lady Smiras Gesicht wurde von einem Schleier verdeckt. Kein Mann durfte mehr einen Blick auf ihr Antlitz
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