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Liberty 9 - Todeszone

Liberty 9 - Todeszone

Titel: Liberty 9 - Todeszone
Autoren: Rainer M. Schröder
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waren dunkle und unheilvolle Töne, die durch die hohen Gewölbe der Schlafsäle der Electoren dröhnten, dort selbst die tiefsten Schläfer jäh erwachen ließen.
    In den acht Dorms fiel kein einziges Wort, während sich die zum hochwürdigen Dienst auserwählten Jungen und Mädchen zwischen zwölf und achtzehn Jahren die wadenlangen Kutten aus fließendem silbrig-blauem Gewebe über den Kopf streiften, sich den ihrem Rang entsprechenden Gürtel aus geflochtenen farbigen Kordeln um die Hüften knoteten und in ihre Ledersandalen fuhren.
    Und genauso stumm flutete der Strom der Electoren wenig später aus dem hohen, doppelflügeligen Portal und über die zwölfstufige Freitreppe hinunter auf den weiten Vorplatz, der im Zwielicht einiger weniger Fassadenstrahler lag. Ihnen folgten die Oberen des Konvents, die Master und Prinzipalen, in ihren blutroten Kutten.
    Kendira erschauderte beim Anblick der Oberen, denn bei keinem von ihnen entdeckte sie auf dem Gesicht auch nur einen Hauch von Mitgefühl für das verurteilte Mädchen, das gleich der furchtbaren Strafe des Cleansing unterzogen werden würde.
    Aber auch der Anblick ihrer ahnungslosen Mitschwestern und Mitbrüder jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Wie sie sich da brav in Viererreihen aufstellten und, nach Jungen und Mädchen getrennt, ihre 24er-Blöcke bildeten, die ihrem jeweiligen Rang als Delta, Gamma, Beta oder Alpha entsprachen, und wie sie sich mit eingeübtem Drill Schulter an Schulter zur Frontfassade der mächtigen Lichtburg ausrichteten, ohne dass es dazu eines Befehls bedurfte, kamen Kendira die anderen Electoren wie willenlose Marionetten vor. Und das waren sie ja auch– und bis vor wenigen Wochen war auch sie selbst eine dieser Marionetten gewesen!
    Dante und Carson … beide wollen mich retten, dachte Kendira benommen. Geküsst haben mich beide … in einer einzigen Nacht … Ein Servant und ein Elector … Darauf steht das Cleansing …
    Aus den primitiven Containerquartieren, die sich einen Steinwurf entfernt hinter Bäumen und hohen Hecken verbargen, kamen jetzt die Servanten geeilt, ebenso lautlos wie die Electoren, denen sie zu dienen hatten. Sie stellten sich hinter den Blöcken der Auserwählten auf und bildeten einen Riegel aus stumpfbraunen Kutten.
    Fast gleichzeitig trafen auch die Guardians aus der nahen Kaserne ein. Gesichtslose Gestalten in mattschwarzen Overalls, das Sturmgewehr geschultert und das verspiegelte Helmvisier trotz der schwachen Beleuchtung heruntergeklappt. Ihre angeblichen Beschützer, die in Wirklichkeit ihre Gefängniswärter waren, fassten den versammelten Konvent an den Flanken ein.
    Als Letzter trat PrimasTempleton hinaus auf die Plattform vor dem Portal, der uneingeschränkte Herr über Leben und Tod in Liberty9. Er war ein hagerer, hochgewachsener Mann mit einem knochigen, asketischen Gesicht und vollem eisengrauem Haar. Mit seiner schneeweißen Kutte und der in schillernden Spektralfarben gehaltenen Seidenschärpe um die Hüften bildete er einen starken Kontrast zu den ihn umgebenden dunkelroten Gewändern der Master und Prinzipalen.
    Gewöhnlich ergossen sich jetzt zu diesem Appell, der » Morgenlob « genannt wurde, atemberaubende Lichtkaskaden über die Lichtburg.
    Doch nicht an diesem Tag.
    Zum ersten Mal in der Geschichte von Liberty9 würde es in dieser grauen Morgenstunde ein öffentliches Cleansing geben, eine Auslöschung!

2
    Prinzipal Whitelock, ein von Ehrgeiz zerfressener und kantiger Mann mit groben Gesichtszügen, übernahm als Stellvertreter des Primas die Ausführung. Auf sein knappes Handzeichen hin richteten sich die Suchscheinwerfer der beiden Wachtürme, die nahe der Kaserne das Westtor flankierten, auf die Plattform– und auf den weiß lackierten Stuhl, den zwei Guardians aus der Halle ins Freie schoben.
    Die Luft war frisch, selbst zu dieser Sommerzeit. Aber die Kälte, die Kendira in diesem Moment bis ins Mark drang, hatte damit nichts zu tun. Ihr gefror das Blut in den Adern, weil sie das Mädchen sah, das mit kahl geschorenem Kopf auf dem Stuhl saß.
    Dieser hatte die Form eines schnörkellosen Lehnstuhls mit hohem Rückenteil und breiten Armlehnen. Ein daumendickes Metallgestänge ragte über das Ende des Rückenteils hinaus und endete in einer stählernen Haube. Sie glich einer halbierten Blechkugel, deren offene Seite nach unten zeigte. Sechs stachelähnliche Stahlnadeln ragten aus dem Inneren der Metallschale hervor.
    An der Rückseite des Cleansing-Stuhls befand
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