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Zerwüteter Pakt (German Edition)

Zerwüteter Pakt (German Edition)

Titel: Zerwüteter Pakt (German Edition)
Autoren: Daria Verner
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1 R(h)einfall
    Es war der 24. Dezember – Weihnachten. Ein Blick auf die Uhr verriet: Kurz nach elf vormittags. Gloria saß allein auf dem Fußboden in Kirts Wohnung; mit dem Rücken an das Bett gelehnt – dem einzigen Möbelstück, das er je besessen hatte. Gestern noch fühlte sie sich wie vor den Kopf gestoßen: Im Irrglauben seines endgültigen Todes hatte sie ein Lebenszeichen von ihm erfahren. Rätselhaft und sonderbar – genauso, wie sie Kirt jeher kennen lernte. Und genau in diesem Moment schon durfte Gloria sich sicher sein, dass Kirt erneut gegen ihm auferlegte Gesetze verstieß! Denn all das, was er ihr über sich, die Engel und die Welten erzählt hatte, hätte sie niemals erfahren dürfen. Erst recht also nicht, dass er noch lebte. Womit er nunmehr sogar ihren festen Glauben sprengte, dass er unwiderruflich gegangen war.
    Kirt… gestorben, aber dennoch am Leben. Für sie unerreichbar, tot – und doch lebendig genug, um mit einem Tropfen Tinte von seiner Existenz zu überzeugen. Wie dankbar sie ihm war… Dankbar für den blassen Mut, den er ihr damit einflößte und der sie seit dem gestrigen Tag hoffen ließ. Doch genauso rasch, wie sich die Linien entwanden und Gloria ihren Inhalt preisgaben – genauso abrupt waren sie es, die das Tor zu ihm verschlossen. Seither schwieg das Buch… Und je lebloser es wurde, desto lebloser wurde auch sie – Gloria. Zwar hoffte sie, erneut von Kirt zu hören, doch tief in ihr drin wusste sie genau: Eine Liebe zu ihm sollte nicht sein. Weder ihre zu ihm, noch seine zu Gloria.
    Was auch immer die Grenzen zwischen allen weltlichen Geschehnissen ausmachte… Allem Anschein nach war es ihr vergönnt, weitere Geheimnisse zu erfahren. Sie war am Leben – einzig und allein das zählte… Gloria ließ ihren Blick durch Kirts Schlafzimmer schweifen. Immer wieder strich sie mit den Fingern über den schweren Einband des Buches. Ihre Meinung zu diesen Versen hatte sich jeher auf Messers Schneide befunden. Doch der Zauber, den die Verse einst innehatten, schien versiegt. Niemals – das wusste Gloria – würden sich ‹ die Fetzen des Lebens neu verweben!› Diese einzelne Textstelle war ihr in besonderer Erinnerung geblieben. Ein Blutengel sandte ihr all diese Gedichte. Mehr noch: Dieser Blutengel war Kirts Großmutter! Doch Maribell verschwand aus ihrem Leben, genauso wie Kirt… Warum? Was steckte dahinter und weshalb musste ausgerechnet sie nun einer Liebe hinterhertrauern, deren Wurzeln sie nicht kannte?
    Gloria saß stumm auf dem Fußboden dieser einst so harmonischen Wohnung. Mit Grauen blickte sie den kommenden Tagen ins Auge: Ihr Vater erwartete sie in Weimar. Wahrscheinlich freute er sich riesig auf das anstehende Weihnachtsfest. Davon, was sich innerhalb der letzten Wochen und Monate zugetragen hatte, ahnte er nichts. Gloria war mulmig zumute. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht, ihrem Vater von Kirts Tod zu erzählen. Er würde nicht verstehen, warum Kirt am Leben war, wenn er ihrer Aussage nach Selbstmord begangen hatte! Sie verstand es ja selbst nicht. Gloria seufzte.
    Energisch griff sie nach ihrem Rucksack. Ein letzter Blick durchs Schlafzimmer, ein letzter durch die ganze Wohnung… Gloria trat ins Treppenhaus und wartete bis die Tür hinter ihr zufiel: Es hallte durch die kahlen Wände und das stumpfe Türschloss, das zuschnappte, klang in ihrem Herzen wie das Ende eines ganzen Kapitels. – Das Kapitel Kirt; verbunden mit einem Buch, das merkwürdiger nicht sein konnte und das Gloria bis an ihre Grenzen gebracht hatte.
    Wie automatisiert verließ Gloria das Wohnhaus und steuerte den Bahnhof an. Sie fühlte sich unbedeutend, als wäre sie selbst gar nicht anwesend. Doch als sie plötzlich am Bahnsteig ankam und die Nummer des ICEs bereits im Display leuchtete, wurde Gloria nervös. Der Zug in die Heimat, die Fahrt zurück in die Vergangenheit… So what – was sollte sie anderes tun, als nach Hause fahren? Das jetzige Düsseldorf fühlte sich nicht länger an wie ein abenteuerliches Exil. Der Wind fegte über den Bahnsteig und der ICE rollte langsam ein, bis er endgültig zum Stehen kam.
    Es war ein seltsames Gefühl, das sie jedes Mal aufs Neue empfand, wenn sie die vielen Reisenden beobachtete. Züge bildeten für Gloria ein Sinnbild der Flucht und des Neuanfangs zugleich. Die Menschen schoben sich langsam in den ICE. Die Pfiffe der Kontrolleure schrillten durch die Luft und die Türen schlossen automatisch. – Der Zug in die Heimat, wo ein
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