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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Beutelentzündung bestellt ist. So eine Gabe würde ihr Ruhe spenden. Sie streckt sich, sackt aber gleich wieder in ihrem Blumenkleid zusammen. Sie sollte wirklich etwas mehr aus sich machen. Wenigstens irgendwas mit ihren Haaren. Ein paar Strähnchen oder so.
    Jetzt klammert sie sich an meinem Arm fest und bettelt: »Kommst du nun mit in die Küche?«
    »Ja, ja. Geh schon mal vor. Ich komme gleich.«
    Mama kann einfach nicht alleine sein. Sobald sie zu Hause ist, muss eine von uns - Cotsch oder ich - um sie herumtanzen. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, ihr im Haushalt zur Hand zu gehen, aber ich mag diesen Zwang nicht. Eigentlich koche ich nämlich sogar richtig gerne. Sahnesoßen und Nudelaufläufe sind meine Spezialitäten. Das heißt aber nicht, dass ich hinterher etwas davon esse. Hungern gibt mir so ein Gefühl von Unabhängigkeit. Diesen Aspekt hat unser Hausarzt Doktor Schaffrat natürlich nicht bedacht. Der weiß eben nicht, was draußen in der Welt vor sich geht. Der sollte sich mal über die jüngsten Entwicklungen im Suchtsegment informieren! Wenn man nämlich richtig Hunger hat, der Magen vor lauter Verzweiflung anfängt, sich selbst zu verdauen, und man es trotzdem schafft, sich nichts hektisch in den Mund zu stopfen, dann hat man die Macht. Das hat nichts mit unserem westlichen Schönheitsideal oder irgendwelchen abgemagerten Models zu tun, wie irgendwelche oberschlauen Vollidioten meinen. Es geht um Autonomie. Mein Körper ist das letzte unbesetzte Gebiet, quasi eine unabhängige Provinz. Ähnlich wie das Dorf von Asterix und Obelix. Mama hat auch so ihre Schwierigkeiten, den politischen Aspekt am Hungern zu verstehen. Sie versucht zwar auch, sich kontrolliert zu ernähren, aber zwischendrin genehmigt sie sich gerne eine Handvoll Kekse. So wird das nichts mit der Traumfigur. Ich für meinen Teil will so dünn bleiben, dass man jeden Knochen sieht. Wahrscheinlich bin ich gestört oder so. Zumindest behauptet das meine Schwester Cotsch: »Lelle, du bist voll gestört.«
    Jetzt seufzt Mama, tätschelt mir meine bläulich angelaufene Hand und steht von der Bettkante auf. Ich weiß, dass Mama Wärme braucht. Wahrscheinlich würde sie sich sogar am liebsten neben mich legen und sich an mich schmiegen, aber dafür bin ich leider der falsche Ansprechpartner. Solche Aktionen muss sie mit Papa regeln. Blöd ist nur, dass der auch kein Interesse hat. Sowieso kriegt Papa von allem, was hier läuft, nichts mit, weil er in seinem Steuerbüro hockt und mit irgendwelchen Leuten telefoniert, die dringend ihre Quittungen für die Buchführung einreichen sollen.
    Mama verschwindet mit ihrem sorgenvollen Blick aus meinem Zimmer, den Flur hinunter, in die Küche. Unter uns: Das Hungern würde mir wesentlich mehr Spaß machen, wenn meine Mutter der Angelegenheit mal etwas gelassener gegenüberstehen würde. Aber so fühle ich mich die ganze Zeit beobachtet und unter Druck gesetzt. Darum esse ich schon mal gar nichts mehr in ihrer Gegenwart. Ich will vermeiden, dass sie am Ende zu mir sagt: »Oh, wie schön! Du hast einen Apfel gegessen.«
    Das wäre genauso schlimm, wie wenn sie sagen würde: »Oh, wie schön! Du hast ja deine Tage!«
    Essen ist eine zutiefst private Angelegenheit. Dabei soll mich keiner beobachten. Meine Schwester Cotsch hasst mich regelrecht für meine Unabhängigkeitsbestrebungen. Sie denkt, ich hätte mir einen genialen Plan ausgeklügelt, damit sich alles um mich dreht. So ein Quatsch. Genau das Gegenteil ist der Fall.

2
    G erade als ich mich überwinden will, vom Bett aufzustehen, klingelt es an der Haustür. Ich werde sofort wieder steif. Ich weiß genau, wer da draußen auf dem Fußabtreter herumlungert: die schreckliche Rita. Mamas Busenfreundin. So nennen Cotsch und ich die immer. Rita wohnt mit ihrer Familie in einem großen Haus außerhalb der Siedlung. Nach hinten raus haben die einen irren Blick auf den Park mit dem Entenweiher, auf dem wir alle im Winter Schlittschuh laufen. Außerdem hat Rita zwei Töchter: Susanna und Alice. Susanna ist so alt wie Cotsch, und Alice ist ein Jahr älter als ich. Sie hat das absolute Gehör und kann wie der Teufel Klavier spielen. Ihre Finger fliegen nur so über die Tasten, dass einem allein beim Zugucken schlecht werden könnte. Sie wird der zweite Paganini am Flügel, so viel ist klar. Jedenfalls hat Rita sich das so vorgenommen. Ich schätze, sie will das große Geld abschöpfen. Sie hat nämlich die totale Panik zu verarmen. Darum veranstaltet
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