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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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dass sie ihren Rainer bei Laune hält. Öfter mal einen frisch gebackenen Keks anbieten oder so. Sonst ist der schneller weg, als sie bis drei zählen kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass Cotsch ja auch noch da ist. Die hat ein Faible für Männer mit silbernem Haaransatz und Glatze. Gerade als Mama und ich uns endlich ans Kartoffelschälen machen wollen, klingelt im Wohnzimmer schon wieder das Telefon. Hier geht es echt zu wie in der NASA-Schaltzentrale.
    Mama meint mit einer gewissen Erschöpfung in der Stimme: »Gehst du bitte mal ran?«
    »Von mir aus.«
    Wenn es Rita ist, werde ich ihr direkt einen gut gemeinten Rat ans Herz legen: »Lass dir eine neue Frisur machen und zieh die Mundwinkel nach oben.« Ich hebe also ab und - ganz entgegen meiner Erwartung - ist Alinas Mutter am anderen Ende zu hören. Ich bin verwirrt!
    »Elisabeth, ist deine Mutter da?«
    »Ja.«
    »Kann ich die mal bitte dringend sprechen?«
    »Kein Problem.«
    Eigentlich hätte ich Mama verleugnen müssen, aber gerade bin ich etwas irritiert. Alinas Mutter ruft hier nämlich nur äußerst selten an - und dann auch nur, wenn Alina nach Hause schweben soll. Doch die ist ja gerade gar nicht da. Außerdem klang Alinas Mutter irgendwie so unerbittlich, als hätte ich etwas verbrochen. Ich weiß nur nicht, was. Mama kommt mit einem karierten Geschirrhandtuch im Hosenbund durch den Durchgang. Ein zweites Handtuch hat sie sich um den Kopf gebunden. Diesen Style trägt sie immer, wenn sie für uns kocht.
    Tonlos, nur mit den Lippen, fragt sie: »Wer ist dran?«
    Ich flüstere zurück: »Alinas Mutter.«
    Und schon halte ich ihr den Hörer hin, obwohl Mama gleich ganz hektisch mit den Händen rumwedelt, zum Zeichen, dass sie nicht will. Dazu ist es jetzt allerdings zu spät. Alinas Mutti weiß ja bereits, dass Mama da ist. Mama mag nicht mit anderen Leuten telefonieren, schon gar nicht, wenn sie sich mit Rita bereits mittags literweise Baileys reingepfiffen hat. Widerwillig drückt sie sich den Hörer ans Ohr und kaut an ihrem Daumennagel herum.
    »Ja?«
    Und dann nickt sie nur noch mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen. Ab und zu stammelt sie: »Ja, aber das ist doch nicht... Sind Sie sicher?... Da sind Sie aber falsch informiert... Ich glaube nicht...«
    Nach dem Telefonat ist Mama relativ bleich, und es fällt ihr schwer, den Hörer exakt auf die Gabel zu legen, so stark zittern ihre Hände. Um wieder zu Kräften zu kommen, muss sie sich erst mal einen Moment auf die Sofalehne setzen. Normalerweise darf da niemand draufsitzen, weil das Sitzmöbel ziemlich wertvoll ist und - laut Papa - in einem Museum für Möbel aus der Kolonialzeit steht. Darum ist Papas einzige Sorge, dass die Lehne abbrechen könnte. Aber das ist Mama wohl momentan egal. Mir auch. Ich hocke mich neben sie und frage: »Was ist denn jetzt schon wieder los?«
    Wie ein beklopptes Nagetier kaut Mama an ihrem Daumennagel herum. Das macht sie immer, wenn sie nervös ist. Unter uns: Eigentlich ist sie immer nervös. In lichten Momenten sagt Papa: »Lass doch mal locker!«
    Dann massiert er Mama die Schultern und behauptet: »Es ist doch alles gut.« Aber Mama kann nicht lockerlassen. Sie sagt: »Das liegt in der Natur der Mutter.« Wenn das so ist, will ich nie Mutter werden. Besonders wenn man so eine Tochter wie Cotsch großziehen muss. So ein Charakter kann einem ganz schön an die Substanz gehen. Seit ihrer Geburt macht meine Schwester eine schwierige Phase nach der anderen durch; sie ist oft unausgeglichen und droht mit Selbstmord oder Mord. Aber gerade ist meine Schwester ja nicht anwesend, um Unruhe zu stiften. Das hilft aber auch nichts, Mama ist trotzdem neben der Spur.
    Weil sie mir immer noch nicht geantwortet hat, frage ich mit etwas mehr Nachdruck in der Stimme: »He, was ist los? Was wollte Alinas Mutti?«
    Mama sieht mich an, als wäre ich eine himmlische Erscheinung oder so was. Ihr eines Augenlid zuckt, dann antwortet sie endlich: »Sie macht sich Sorgen, dass du Alina mit deinem Gehungere anstecken könntest.«
    »Hä?«
    »Sie schlägt vor, dass ihr in der Klasse besser nicht mehr nebeneinandersitzt.«
    Ich kriege den Mund nicht mehr zu. So etwas Gestörtes habe ich mein Lebtag noch nicht gehört: dass ich Alina mit meinem Gehungere anstecke! Wie soll das denn bitte gehen?
    Ich sage: »Was soll denn die Scheiße?! Zum Hungern braucht man eine spezielle Disposition.«
    Mama nickt. »Ich weiß.«
    Ich sage: »Alinas Mutti spinnt.«
    Um überhaupt so stark
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