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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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sie dauernd einen privaten Flohmarkt in ihrem Vorgarten, bei dem sie sämtliche Geburtstagsgeschenke ihrer Töchter verscheuert, die sie gerade erst von den Verwandten überreicht bekommen haben. Nachdem Alice vorletztes Jahr Konfirmation gefeiert hatte, hat Rita sich eine goldene Nase mit den Präsenten verdient. Jetzt habe ich Alice’ MP3-Player.
    Woher diese krankhafte Angst bei Rita herrührt, weiß keiner. Ihr Mann ist nämlich ein ziemlich hohes Tier bei der Bank - anders als mein Vater. Der ist, wie bereits angedeutet, nur Steuerberater. Tag und Nacht treibt Rita ihre Töchter an, alles zu geben. Darum ist Susanna in der Schule auch die Jahrgangsbeste, was meine Schwester Cotsch total rasend macht. Eigentlich will Cotsch nämlich die Jahrgangsbeste sein, dafür lernt sie ununterbrochen und hält dauernd freiwillig irgendwelche Referate. Aber Susanna ist nicht einzuholen. Darum hat Cotsch einmal beim Mittagessen gemeint: »Ich bringe sie um.« Bis jetzt hat sie es noch nicht getan. Aber unter uns: Ich traue Cotsch alles zu. Wenn es sein muss, geht sie über Leichen. Es klingelt schon wieder. Und ich höre, wie Mama aus der Küche und durch den Flur gerast kommt, die Windfangtür und dann die Haustür aufreißt. Sie ruft: »Rita! Mein Gott! Wie siehst du denn aus?«
    Leider kann ich nicht verstehen, was Rita antwortet. Ich höre nur so einen merkwürdigen quietschenden Laut, als würde ein Ferkel abgestochen. Augenblicklich kehren meine Lebensgeister zurück. Ich setze mich im Bett auf und horche weiter. Durch meine Zimmertür kriege ich mit, wie Mama mit voll besorgter Stimme sagt: »Komm erst mal rein und beruhig dich.«
    Vorsichtig stehe ich von meinem Lager auf und schleiche zur Zimmertür. Ich presse mein Ohr gegen das gelb lackierte Holz. Bei uns im Haus sind alle Türen gelb gestrichen. Gelb ist Papas Lieblingsfarbe. Leider wirkt sich der sonnige Ton nicht auf seine Gemütsverfassung aus. Der ist in letzter Zeit wirklich so etwas von leicht zu reizen. Mama meint nur: »Euer Vater ist emotional verkümmert.« Was auch immer das heißen soll. Ich schließe die Augen, um meinen Gehörsinn zu schärfen, und halte den Atem an. Die Haustür fällt ins Schloss und Mama und Rita ziehen auf der anderen Seite an meiner Tür vorbei. Ich höre, wie Rita schluchzt: »Wie soll ich es nur Susanna und Alice beibringen?«
    Dann geht auch noch die Wohnzimmertür zu und meine Lauscher empfangen gar keine Schallwellen mehr. Ich wüsste natürlich schon gerne, wo bei Rita der Schuh drückt. Darum schlüpfe ich leise in den dämmrigen Flur hinaus, weiter in die Küche, die praktischerweise per Durchgang mit dem Wohnzimmer verbunden ist. Offenbar haben es sich Mama und Rita auf dem Sofa neben der Hausbar gemütlich gemacht. Ich höre, wie der Schlüssel im Barschränkchen herumgedreht wird und die Gläser vollgeschenkt werden. Mama und Rita genehmigen sich gerne mal ein kleines Schlückchen, um runterzukommen. Als ich mich ganz dicht heranschleiche, stoße ich versehentlich mit dem Fuß gegen das Küchenstuhlbein und meine Undercover-Aktion fliegt auf.
    Mama ruft von der anderen Seite: »Lelle, bist du das?«
    Wer sonst? Ein Einbrecher? Ich verzichte also auf meine Tarnung und spaziere ganz entspannt ins Wohnzimmer hinein. Tatsächlich: Die dicke Rita hockt mit rot verheulten Augen neben Mama auf der Sofakante. In der dicken Patschhand hält sie ein bis zum Rand mit Baileys gefülltes Glas. Wenn Papa wüsste, dass die Tante da auf seinem Möbel hockt und seine Hausbar leer schlürft, würde er durchdrehen. Papa kann Rita nämlich nicht ausstehen, weil sie einmal in Gegenwart von einigen Nachbarn behauptet hat, er hätte ihr auf dem Gemeindefest ein unschickliches Angebot gemacht. Die Gute hat echt einen Knall. Bei der würde nicht mal ein Orang-Utan rangehen wollen.
    Ich nicke ihr zu und sage: »Wie geht’s?«
    »Melde dich doch mal wieder bei Alice, sie würde sich wirklich freuen.«
    »Mach ich.«
    Ständig will Rita, dass ich mich bei Alice melde, und wenn ich mich dann bei Alice melde, will Rita, dass sie Klavier übt, bis die Tasten glühen. Das ist die totale Schikane. Wie auch immer. Ich glotze Mama an, die mir mit ihren Pupillen ein Zeichen zu geben versucht, dass ich mich verdünnisieren soll. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als mich durch die Wohnzimmertür wieder in mein Zimmer zu begeben. Was ich natürlich nicht mache. Anstatt den Flur hinunterzugehen, schlage ich gleich einen Haken, schwebe zurück in die
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