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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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ich mich im Bad aufhalte. Also vermute ich, Simone geht es genauso. Aber da wir uns ja gerade derart nah gekommen sind, nehme ich an, dass es in Ordnung ist, wenn ich jetzt richtig an die Tür hämmere und rufe: »Verdammt noch mal! Mach auf!«
    Aber Simone macht nicht auf. Die bleibt stumm. Und in diesem Augenblick zähle ich eins und eins zusammen: Ich befinde mich in einer Klinik für psychisch kranke Mädchen, Simone ist eins davon. Sie hat sich ziemlich einen angezwitschert, außerdem hat sie sich total peinlich vor unserem Chefarzt benommen. Die Summe all dieser Fakten lässt mich zu dem Schluss kommen, dass hier etwas faul ist. Ich trete also volle Pulle gegen die Tür und brülle: »Simone, scheiß die Wand an! Mach die Tür auf.«
    Jetzt, jetzt höre ich so ein unauffälliges Stöhnen auf der anderen Seite der Tür. Ich schnalle, dass es nun an der Zeit ist, den Fachleuten Bescheid zu geben. Ich knipse das Licht im Flur an, renne hinüber zum Telefon und rufe unten an der Rezeption an. Keine Minute später kommt auch schon ein Team von weiß bekittelten Ärzten in unser Zimmer gestürmt, und sie entschließen sich augenblicklich, die Tür einzutreten. Einer von den Assistenzärzten übernimmt das, so ein ziemlich bulliger Typ, von dem gerade gemeldet wird, dass er in seiner Freizeit so eine Art Freestyle-Fighten macht. Sehr interessant, genau wie dieser Samuel, der Freund von Johannes. Vielleicht kennen sich ja die beiden von Wettkämpfen her. Ich werde das später mal eruieren. Doch erst einmal sollen wir alle zurücktreten, um dem Chef ausreichend Platz zu machen. Das Witzige an der Sache ist, dass die Leute mich wie eine von ihnen behandeln, was daran liegen mag, dass ich mir meinen weißen Frotteebademantel übergeworfen habe. Wir pressen uns also alle an die Schrankwand, während der ziemlich starke Assistenzarzt mit voller Wucht und Tarzanschrei die Tür eintritt.
    Gleich machen wir alle ein paar Schritte vor, um zu sehen, was dadrinnen im Badezimmer bei Simone Phase ist. Ich sage es gleich: Ihr Anblick ist nicht schön. Sie ist über und über mit Blut beschmiert und liegt in einer ziemlichen Blutlache. Ihre Augen sind geschlossen, und ich würde sagen, sie hat schon einiges an Blut verloren. Der bullige Assistenzarzt hebt sie auf die Arme, so als würde er das jeden Tag ein paarmal machen, und trägt sie zu meinem Bett und legt sie darauf. Damit sie nicht erfriert, wird sie mit meiner Decke zugedeckt. Tolle Idee! Ich werde mich da erst mal nicht mehr reinlegen. So viel ist klar.
    Ich ziehe mich vornehm zurück und dann beginnen die Feinarbeiten an ihren Handgelenken. Stichwort Druckverband. Simone kriegt das gar nicht mit, die ist schon so gut wie ins Jenseits abgedriftet. Unter uns: Ich beneide sie etwas. Wahrscheinlich erlebt sie gerade die totale Entspannung. Nichts zählt mehr. Möglicherweise fliegt sie gerade durch den Tunnel, dem gleißenden Licht entgegen, wo sie von zwei wunderschönen Engeln in Empfang genommen wird. Oder aber sie macht gerade die klassische Nahtoderfahrung. Das heißt, sie ist aus ihrem Körper ausgetreten und beobachtet von oben das Geschehen. Das wiederum würde bedeuten, sie sieht auch mich. Und dann, wenn sie wieder klar im Kopf ist und sich an dieses Erlebnis zurückerinnert, wird sie resümieren können, dass ich vollkommen teilnahmslos danebenstand, während die Ärzte krampfhaft versuchten, ihr das Leben zu retten. Um spätere Vorwürfe von Simones Seite schon jetzt zu verhindern, ringe ich so ein bisschen mit den Händen und schüttle immer wieder den Kopf, allerdings nicht zu auffällig, damit die Ärzte nicht auf mich aufmerksam werden. Hinterher führen die mich noch ab und machen einen auf Notfallbetreuung. Darauf kann ich gut verzichten. Das einzige Problem ist, dass meine Füße immer kälter und schwerer werden. Ich müsste mich mal dringend hinsetzen. Am besten auf den Sessel. Nur keine hektischen Bewegungen. Sehr bequem. Von hier aus sehe ich weiter zu, wie das Ärzteteam an meiner Zimmergenossin Simone rumfrickeln. Als sie endlich versorgt ist, wird sie wieder hochgehoben und an mir vorbei aus dem Zimmer getragen. Ihre Beine hängen schlaff nach unten, draußen wird sie auf eine Liege gelegt. Die arme Simone. Ich hoffe wirklich, sie kommt durch. Ohne sie fehlt mir etwas. Das merke ich plötzlich ganz deutlich. Trotzdem sie eine Vollkatastrophe ist, mag ich sie eigentlich sehr. Vielleicht ist sie ja am Ende genauso einsam wie ich. Kann doch sein. In ihrem
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