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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Die zeugt von totalem Größenwahn. Offenbar hat sie die Begabung, die Realität vollkommen außer Acht zu lassen. Interessant. Simone läuft weiter am Straßenrand entlang, ab und zu braust ein Wagen an uns vorbei und die Fahrer hupen verzückt beim Anblick meiner mondänen Zimmergenossin. Ich hechle hinterher, und gerade meine ich, meine Herzgeräusche förmlich zu spüren. Ich darf jetzt nur nicht schlappmachen. Ich will zu Johannes. Also zapfe ich meine letzten Kraftreserven an, auch wenn ich daran zugrunde gehen werde. Es ist ja bekanntlich so, dass Leute, die sich auf einer gefährlichen Expedition am Südpol befinden, seit Tagen kein Robbenfleisch mehr gegessen haben, sondern nur noch vollkommen weggetreten an einem Stück Schnee herumlutschen, am Ende des Tages fähig sind, unglaubliche Energien aufzubringen, um sich bis zur nächsten Menschensiedlung zu schleppen. So ungefähr fühle ich mich gerade. Das Blöde an der Sache ist nur, dass genau diese tapferen Menschen dann an dem ersten Stückchen Fleisch sterben, das sie in den Mund stecken, da der Körper kein bisschen Kraft mehr hat, das Fleisch zu verdauen, und somit fällt der ganze Organismus zusammen. Schöne Aussichten, ganz toll. Vielleicht sollte ich einfach in eine von den Kühen reinbeißen, bevor es mit mir den Bach runtergeht.
     
    Nach zwanzig Minuten Fußmarsch kommen wir endlich oben im Stadtzentrum an. Das Restaurant ist natürlich das erste am Platze und Simone hat - ganz die Jetset-Dame - für uns einen Tisch am Fenster reservieren lassen. Wir treten ein und gleich umflort uns Eins-a-Pianomusik. Hinter dem verspiegelten Pfeiler im letzten Drittel des Gastraumes sitzt nämlich ein Typ im Frack am Flügel und lässt seine zehn Finger selbstvergessen über die Tasten fliegen. Das hat Stil. Und am Tisch am Fenster hockt tatsächlich Johannes, seine Jeanshosenbeine leger übereinandergeschlagen, sodass seine paillettenbesetzten Chucks ideal zur Geltung kommen. Unter uns, Leute: Er sieht wirklich ziemlich gut aus. Wirklich gut. Gerade kommt es mir so vor, als würden wir uns schon sehr lange kennen. Von Seele zu Seele. Weil er aber dennoch weiß, wie man sich benimmt, steht er augenblicklich von seinem Platz auf, als Simone und ich ankommen. Überflüssig zu erwähnen, dass meine kotzsüchtige Klinikgenossin wieder ihre Pumps anhat und mit hoch erhobenem Haupte an den Tischen entlangschwebt, als sei ich das Kind und sie die Mutter. Johannes gibt ihr rechts und links ein Küsschen, wobei er ihr galant die Hand auf den Rücken legt. Und wie ich mir dieses beknackte Schauspiel so aus ein paar Metern Entfernung angucke, könnte ich vor Wut die Kerzenständer von den Tischen reißen oder dem Pianisten den Klavierdeckel auf die Pfoten hauen. Ich hasse es, wenn Johannes Simone betatscht. Die bringt es fertig und überredet ihn, mit ihr noch heute Nacht aus reiner Abenteuerlust in die Kiste zu springen. Wahrscheinlich wird sie sich mit Johannes zu diesem Zweck das Pensionsbett teilen, während ich - ganz die brave Lelle - alleine im Klinikzimmer herumlungere und mir vorstelle, wie die It-Girl-Simone vor Wolllust aufstöhnt und Johannes mit ihren roten Fingernägeln tiefe Furchen in die Haut kratzt.
    Als hätte Simone meine Gedanken gehört, lächelt sie mich wie die Grande Dame verwegen an und haucht mit rauchiger Stimme: »Keine Sorge, meine Kleine. Ich habe kein Interesse an jungen Männern.«
    Dann platziert sie sich auf dem gepolsterten Stühlchen und lässt sich vom herbeigeeilten Kellner ranschieben. Anschließend schlägt sie elegant ihr Bein über und streckt den Fuß galant unter der Tischdecke hervor. Dabei sehe ich, dass ein dicker Klumpen Matsch an ihrem Absatz hängt, wenn es nicht sogar müffelnde Kuhscheiße ist. Das geschieht ihr recht. Ich gucke Johannes trotzdem nicht an, ich sage nicht mal etwas zur Begrüßung. Der soll mal merken, dass er gerade dabei ist, Simone zu verfallen. Wie ein unartiges Kind quetsche ich mich auf den freien Stuhl und glotze auf die hübsch gefaltete Serviette auf dem Teller. Johannes und Simone können mich mal. Ich analysiere jetzt einfach, wie die Servietten-FaltTechnik geht. Das wäre doch mal ein schönes Hobby für mich. Wo Mama doch sowieso meint, dass ich ins Hotelfach gehen sollte. Da kann es nur hilfreich sein zu wissen, wie in mondänen Restaurants die Servietten gefaltet werden, damit sie wie eine Pyramide auf dem Teller stehen bleiben.
    Mein sogenannter Freund stupst mich unterm Tisch mit dem
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