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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Chuck am Schienbein an und meint: »Ey, Lelle, was geht ab?«
    Ich murmle: »Gar nichts.«
    Und eigentlich wäre ich jetzt so weit, um direkt loszuheulen. Ich gebe es zu, ich bin mir selbst ein Rätsel. Gerne würde ich hier einfach ganz entspannt sitzen, grinsen und denken, das wird ein illustrer Abend, der bestimmt unterhaltsamerweise im Desaster für Simone enden wird. Aber ich fühle mich einfach nur allein und ich will nach Hause, zu Mama. Es ist peinlich, ich gebe es ja zu, aber irgendwie taucht in mir immer wieder dieses Bild auf, wie ich auf dem Schoß meiner Mutter sitze, sie mich so ein bisschen hin und her wiegt und ich weiß, dass alles gut ist. Aber ich kann doch nicht ewig klein bleiben. Das geht doch nicht. Das ist doch krank!
    Wir bekommen die in rotes Leinen eingebundenen Menükarten gereicht und ich gucke gar nicht erst rein. Ich hungere! Im Gegensatz zu Simone und Johannes. Die zählen sich gegenseitig auf, was sie gleich alles bestellen und essen werden. Simone kotzt anschließend sowieso alles wieder aus - die kann es sich also erlauben, tüchtig reinzuhauen. Ich hebe einfach nur stumm die Hand, sodass der Kellner an unseren Tisch zurückkommt, und flüstere: »Ich hätte gerne ein Bier.«
    Der Kellner zögert so ein bisschen, ich merke, dass er mich am liebsten fragen würde, wie alt ich bin. Glücklicherweise verkneift er es sich. Er ist eben gut ausgebildet worden. Wahrscheinlich denkt er sich: Solange die Kleine nur ein Glas trinkt, wird das schon gehen. Ich spüre Johannes’ Blicke auf mir, und ich vermute, dass er gar nicht weiß, wie er mit mir umgehen soll. Unruhig klopft er mit seinen Fingerspitzen auf der Tischplatte herum und macht irgendwelche unwitzigen Witze. Von wegen: Was ist der Unterschied zwischen einem Auto und Klopapier? Wahrscheinlich würde Alice sich vor Lachen in die Hose puschern, die lacht gerne über solche flachen Jokes. Die ist ja auch ein simples Gemüt. Ich höre gar nicht richtig hin, was die Lösung vom Witz ist. Ich ergründe einfach nur das Webmuster der Serviette vor mir. Und gerade als ich denke, ich renne am besten weg, weit weg, wo mich niemand mehr findet, wo ich mich mit niemandem mehr auseinandersetzen muss, wo nur ich bin und mir selbst genüge, quiekt Simone plötzlich volle Pulle los und haut vor Aufregung fast ihr Weinglas um: »Da ist er, da ist er!«
    Um mich wieder ins Spiel zu bringen, hebe ich den Kopf. Ich bin ja kein Vollidiot. Ich erkenne die Chance, die sich mir bietet! Ich gucke also hoch und frage mit relativ gut gelaunter Stimme: »Wo?«
    Und Johannes sagt: »Wer?«
    Und Simone quiekt: »Chefarzt Doktor Wilhelm! Mit seiner hässlichen Frau!«
    Wir drehen uns zur Tür, und tatsächlich: Da ist der braun gebrannte Doktor Wilhelm mit seiner dunkelhaarigen Frau, die sich die langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Sie trägt ein rotes Poloshirt und enge weiße Jeans. Ich finde sie gar nicht hässlich! Sie sieht doch recht sportlich aus. Simone hebt automatisch die Hand und winkt huldvoll rüber, als Doktor Wilhelm uns mit schockverzerrtem Gesicht entdeckt. Leute, ich muss sagen, ihm fallen fast die Augen aus dem Kopf. Seine Hand zuckt, doch dann dreht er sich ohne Gruß schnell weg und folgt seiner Frau an den für ihn reservierten Stammplatz. Der allerdings steht nur drei Tische von unserem entfernt. Sehr praktisch. Simone ist dementsprechend nervös. Sie knibbelt an ihren lackierten Fingernägeln herum, sodass der rote Lack abplatzt und auf ihren Teller rieselt. Dazu lacht sie hysterisch, bei jedem Wort, das von Johannes kommt. Sie schlägt ihm auf die Schulter oder haut ihren Kopf gegen seinen Oberarm, damit will sie wohl signalisieren, dass sie eine echt flippige Type ist. Zum Kotzen. Johannes schielt zu mir rüber und verdreht die Augen. Ich wiederum schiele zu Herrn Doktor
    Wilhelm hinüber, der die Menükarte so vor das Gesicht hält, dass er gar nicht mehr zu sehen ist. Ich schätze, der verflucht sich selbst, dass er hergekommen ist. Seine Frau hingegen hat die Hände flach auf die Tischkante gelegt und sieht interessiert zu uns herüber. Ab und zu beugt sie sich zu ihrem Mann hinter die Karte; wahrscheinlich fragt sie ihn gerade, was für Psychos wir sind. Unter uns, Leute: Ich wäre liebend gern kein Psycho. Ich wäre sehr gerne ganz normal. Und ich würde alles dafür geben, herauszufinden, woher diese verdammte Traurigkeit bei mir kommt. Ich schlucke. Manchmal denke ich an Selbstmord. Ich stelle mir vor, wie ich aus
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