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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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und dafür sorgen, dass ihm sein Ärztetitel aberkannt wird. Um es gleich zu sagen: Simones geplante Aufreiß-Aktion hat einen ziemlichen Haken. Wir Patientinnen haben nämlich am Abend Ausgehverbot. Doch das allein ist noch nicht das größte Problem. Das größte ist, dass Simone Doktor Wilhelm in ihrem Aufzug schöne Augen machen will. Das heißt: Dem Chefarzt der Klinik wird nicht entgehen, dass wir uns gegen die Hausordnung auflehnen, weswegen uns ziemlicher Ärger droht. Und wer mich ein wenig kennt, weiß, dass ich nichts mehr verabscheue als eine angespannte Stimmung.
     
    Um vom Klinikpersonal nicht beim Hinausschleichen erwischt zu werden, verschwinden Simone und ich nach unten ins Schwimmbad. Von dort aus wollen wir durch die Kellertür entkommen, die hintenraus in den Garten führt. Als ich hinter Simone durch den Umkleideraum und dann weiter am Beckenrand entlanghechle, sage ich zu ihr: »Wie bitte willst du Doktor Wilhelm erklären, warum wir uns nicht an die Hausordnung halten und draußen herumstreunen?«
    Simone klackert in ihrem schwarz schillernden Fummel und den Pumps über den gefliesten Boden, am Becken vorbei, in dem ein paar Hungerhaken herumpaddeln, wobei sie plötzlich in einer Wasserlache ausditscht und sich im letzten Moment an mir festklammert. Gut, dass ich so ein stämmiges Mädchen bin und es mit links schaffe, sie am Sturz in die blauen Fluten zu hindern.
    »Scheiße, Lelle! Wegen dir wäre ich fast in die Pissbrühe gestürzt!«
    »Warum wegen mir?«
    »Weil du mir meine ganze Konzentration genommen hast.«
    Simone rafft ihren Dress zurecht und ich folge ihr durch den dunklen Abstellraum, an den Schwimmbrettern aus Schaumstoff vorbei, bis zur Hintertür. Meine Zimmergenossin stößt sie mit Schwung auf und atmet tief durch: »Na, dann mal los!«
    Entschlossen klettert sie hoch auf die Mülltonne und zieht sich die Backsteinmauer hinauf. Und dann hinein in die Büsche, durchs Unterholz bis zum Parkplatz! Ich folge ihr. Was soll ich auch sonst machen? Hintereinander zwängen wir uns zwischen den geparkten Autos hindurch, bis zur Straße, die den Hang hinaufführt und sich dann zwischen den Rapsfeldern und Kuhweiden Richtung Stadt schlängelt. Inzwischen hat sich Simone ihre Pumps ausgezogen und läuft nun barfuß weiter. Zum Glück trage ich meine Chucks. Mit denen bezwingt man jedes noch so unwegsame Gelände. Simone marschiert los, die grau asphaltierte Straße hinauf, an der vom Abendrot bestrahlten Kuhweide entlang, und ich werde ihr nicht sagen, dass in ihren künstlich gedrehten Locken einige Blätter hängen geblieben sind.
    Ich stolpere hinterher und frage noch mal: »He! Wie willst du ihm das erklären?«
    Simone dreht sich gar nicht um. Die ist auf einer Mission. Ein bisschen erinnert sie mich gerade an Cotsch. Die handelt auch immer nach dem Motto: »Keine Rücksicht auf Verluste«. Ich wünschte, die Leute würden auch ab und zu mal fragen, wozu ich eigentlich Lust habe. Es wäre auch für mich spannend zu erfahren, was das wäre. Ich weiß es nämlich selbst nicht.
    Ich hole Simone ein, sodass ich jetzt neben ihr laufe, und sage nun ziemlich laut: »Hallo?!«
    »Was?«
    »Wie willst du Doktor Wilhelm erklären, warum wir uns nicht an die Hausordnung gehalten haben?«
    Endlich hält Simone an und stemmt die Hände in die Hüften. Leute! Sie ist echt genau wie Cotsch. Vor lauter Wut dampft sie schon aus allen Löchern. Wahrscheinlich semmelt sie mir gleich eine rein. Nur weil ich es wage, sie auf einen Denkfehler hinzuweisen. Ich muss wirklich mal anfangen zu überprüfen, warum ich immer wieder auf exakt dieselben gestörten Typen treffe. Hinter Simone tritt eine schwarz-weiß gefleckte Kuh nah an den Zaun heran und schnuppert an ihren aufgedrehten Haaren, in denen - wie gesagt - Blätter hängen. Ich schätze, gleich beißt die Kuh rein. Dann bepisse ich mich aber vor Lachen.
    Simone wippt mit ihrem nackten Fuß auf und ab, um mir zu zeigen, dass es ihr mit mir wirklich reicht. Sie holt tief Luft und stößt hervor: »Okay, Lelle. Fürs Protokoll: Außerhalb der Klinik bin ich keine Patientin mehr, verstehst du? Das heißt, dass ich mich deswegen auch an keine Hausordnung zu halten brauche. Das wiederum bedeutet, dass Herr Wilhelm überhaupt keinen Anlass haben wird, mich und dich auf irgendeine Hausordnung aufmerksam zu machen. Geht das in deinen Kopf rein?«
    Ich nicke.
    Simone hat irgendwie recht, aber irgendwie auch nicht. Dennoch gefällt mir gerade ihre Sichtweise.
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