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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Versuch heute Abend schieflaufen wird.«
    »Wie kommst du darauf? Findest du mich zu fett, oder was?«
    »Nein, aber überleg doch mal...«
    Leute, ich habe einen ziemlichen Brummschädel, ich kann gar nicht mehr klar denken. Es ist, als würde ich durch eine dicke Nebelwand das Geschehen mitbekommen. Es ist, als könnte ich es nicht beeinflussen, als wäre ich dazu verdammt, hier zu sitzen und zuzuschauen, wie alles den Bach runtergeht. Der Kellner stellt Simone das gut gefüllte Wodkaglas hin, sie leert es wieder in einem Zug und haut es anschließend auf die Tischplatte, wobei sie leider den Tellerrand streift und er mit einem lauten Klirren abbricht.
    Ich flüstere: »Scheiße.«
    Und Johannes legt Simone die Hand vorsichtshalber auf den nackten Unterarm und meint: »Bleib locker.«
    Doch Simone stiert ihn nur wütend an: »Was soll das denn heißen? Ich bin locker! Und wie!«
    Plötzlich schiebt sie ihren Stuhl mit Schwung zurück, sodass er nach hinten umkippt, und steht auf. Ich befürchte, sie ist ziemlich angeschickert. Wenn nicht sogar sehr angeschickert. Sie zieht vorne ihr Kleid straff, nimmt ihre Schultern nach hinten, das Kinn hoch und wankt wild entschlossen an den Tischen vorbei, direkt auf das Ehepaar Wilhelm zu. Als sie angekommen ist, stützt sie sich mit beiden Händen zwischen der kleinen Vase und dem Kerzenständer auf der Tischplatte ab, und Johannes und ich können ganz wunderbar verstehen, was sie lallt. Denn sie lallt sehr laut: »Guten Abend, Werner. Ich hoffe, es schmeckt. Nachdem du es den ganzen Abend über geschafft hast, mich zu ignorieren, dachte ich mir, ich komme mal an deinen Tisch, stelle mich deiner bezaubernden Frau vor und lasse sie bei der Gelegenheit gleich wissen, dass sie sich warm anziehen soll. Denn jetzt bin ich an der Reihe, mich um die Erfüllung deiner erotischen Fantasien zu kümmern....«
    Herr Doktor Wilhelm hat den Mund voll mit Salat, und ich wette, der wird ihm im Halse stecken bleiben, sollte er versuchen, ihn hinunterzuwürgen. Johannes und ich krallen uns unter der Tischplatte aneinander, und mein Freund murmelt ununterbrochen: »Das ist peinlich. Das ist so peinlich. Das ist peinlich. Ich fasse es nicht, wie peinlich das ist.«
    Und ich denke das Gleiche. Dabei glotzen wir vollkommen handlungsunfähig zu Doktor Wilhelms Tisch hinüber, an dem Simone inzwischen ungefragt Platz genommen hat und lallend bemerkt: »Liebe Frau Doktor Wilhelm, leider kenne ich nicht Ihren Vornamen, sonst würde ich Sie damit ansprechen. Es wird ein Schock für Sie sein zu erfahren, dass Sie keine Chance gegen mich haben werden. Das ist das Gesetz der Natur. Die Kräftigeren und Jüngeren machen das Rennen. Im Übrigen habe ich mir schon immer genommen, was ich wollte. Das ist mein Lebensmotto. Möglicherweise hat Ihr Mann Sie aus Rücksicht noch nicht darüber aufgeklärt, dass er...«
    Endlich würgt Herr Doktor Wilhelm seinen Salat hinunter und seine Frau tupft sich mit der Serviette den Mund ab. Herr Doktor Wilhelm meint mit seiner ruhigen Ärztestimme: »Simone, lass gut sein.«
    Doch Simone denkt gar nicht daran, es gut sein zu lassen. Sie zischt: »Wage es nicht, mich mit deiner verdammten Therapeutenstimme anzusprechen.«
    Als sie dann auch noch die Frechheit besitzt, die Hand zu heben und beim Kellner eine Runde Wodka für sich und die »Herrschaften« zu bestellen, damit sie sich gemeinsam aussprechen könnten, klauben Johannes und ich schnell unser Geld zusammen, werfen es auf den Tisch und verschwinden. Wir wollen mit diesem Irrsinn definitiv nicht in Verbindung gebracht werden. Ich winke dem Doktor und seiner Frau zum Abschied zu, um nicht unhöflich zu wirken, dann renne ich hinter Johannes raus, auf den Markplatz.
     
    In der Mitte, am Brunnen, machen wir kurz halt und zünden uns eilig eine Zigarette an, um runterzukommen. Nebeneinander setzen wir uns auf den Steinrand, kühlen uns die Hände im kalten Wasser und ziehen heftig an unseren Glimmstängeln.
    Ich sage: »Scheiße! Ich kann nicht mehr! Siehst du, wie meine Knie zittern?«
    Johannes nickt: »Das war echt krass. Scheiße, scheiße, scheiße!«
    Ich sage: »Vielleicht hätten wir eingreifen müssen.« Doch Johannes schüttelt den Kopf und murmelt: »Wir haben sie gewarnt. Verdammt! Wir haben sie gewarnt.«
    Und ich sage: »Ja, das stimmt.«
    Und weil wir befürchten, Simone könnte uns irgendwie doch noch mit in die Geschichte hineinziehen, machen wir uns eilig und Arm in Arm auf den Weg Richtung Klinik. Die
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