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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung
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Vorspiel
    Erzähl mir die Geschichte zu Ende, Vogel.« Der Rabe legte den Kopf schief »Welche Geschichte?«
    »Die vom Gott Kupilas — Krummling, wie ihr ihn hier nennt. Erzähl, Vogel. Es pisst vom Himmel, mir ist kalt, ich habe Hunger und irre in der grässlichsten Gegend der Welt herum.«
    »Unsereins ist auch nass und hungrig«, rief ihm Skurn in Erinnerung. »Hat kaum was gefressen in letzter Zeit, grad mal einen zerquetschten Kokon dann und wann.«
    Diese Vorstellung hob Barricks Laune auch nicht gerade. »Erzähl einfach weiter. Bitte.«
    Der Rabe glättete sein verkrustetes Gefieder, jetzt schon deutlich milder gestimmt. »Na ja, wenn Ihr meint. Wo war unsereins denn stehengeblieben?«
    »Wie er seine Urgroßmutter traf Und sie wollte ihn lehren ...«
    »Ah ja. Weiß es jetzt wieder, unsereins.
›Ich werde dir beibringen, in den Landen der Leere zu reisen‹, sagte die Urgroßmutter zu Krummling, ›jenen Landen, die neben allen Dingen sind und an jedem Ort, so nah wie ein Gedanke und so unsichtbar wie ein Gebet.‹
War's das, was unsereins zuletzt erzählt hat?«
    »Ja, genau.«
    »Könnt Euch vielleicht vorher noch was zu essen beschaffen, unsereins?« Skurn war wieder bester Dinge. »Ist voll von Pfeifmotten, dieses Stück Wald ...« Er sah Barricks Gesichtsausdruck. »Nun gut, Prinz Ist-mir-alles-nicht-gut-genug — aber gebt bloß nicht Skurn die Schuld, wenn Ihr vor lauter Magenknurren mitten in der Nacht aufwacht ...«

    »Krummling verbrachte lange Tage an der Seite seiner Urgroßmutter Leere, lernte alles über die Geheimnisse ihres Landes und seiner Straßen und wurde noch weiser, als er ohnehin schon war. Er lernte viele Tricks, wie man im Land seiner Urgroßmutter reisen konnte, und sah viele Dinge, wenn niemand merkte, dass er hinschaute. Und wenn sein Körper auch verkrüppelt war und sein eines Bein kürzer als das andere, sodass sein Gang klang wie ein Wagen mit einem gebrochenen Rad, klicketti-klack, klicketti-klack, konnte Krummling schneller reisen als irgendwer sonst — selbst sein Vetter Trickser, den die Menschen Zosim nennen.
    Trickser war der Fixeste von der ganzen Sippe der drei Brüder, der schlaue Herr der Straßen und der Dichtkunst und der Verrückten. Der clevere Trickser hatte sogar manche von Leeres Geheimnissen ganz allein herausbekommen, aber er hatte seine Urgroßmutter auch »Alte Windstimme im Brunnen« genannt, wenn er nicht ahnte, dass sie zuhörte. Daraufhin hatte sie dafür gesorgt, dass Trickser nichts mehr über ihr Land und dessen Seltsamkeiten lernte.
    Krummling aber war ihrem Herzen nahe, und ihn lehrte sie alles. Je mehr Krummling lernte, je mehr Worte und Kräfte ihm zuwuchsen, desto ungerechter fand er es, dass sein Vater getötet und seine Mutter geraubt worden war, dass seine Onkel und alle seine übrigen Verwandten in der Verbannung im Himmel saßen, während die, die ihnen das angetan hatten, und vor allem die drei mächtigsten Brüder — Perin, Kernios und Erivor, wie ihr sie nennt —, auf Erden lebten und lachten und sangen. Darüber sann Krummling lange nach, bis ihm schließlich etwas einfiel — der schlauste und listigste Plan, den es je gab.
    Alle drei Brüder hatten jetzt Wachen und Beschützer um sich, die über furchterregende Kräfte verfügten, also genügte ein einfacher Überfall nicht. Der Wassermann Erivor hatte Wölfe des Meeres rings um seinen Thron und Giftquallen, und außerdem waren da seine Wasserkrieger, die den ganzen grünen Tag und die ganze grüne Nacht über ihn wachten. Der Himmelsmann Perin wohnte in einem Palast auf dem höchsten Berg der Welt, umgeben von seiner Sippe, und er hatte den mächtigen Hammer Donnerschlegel, den Krummling selbst für ihn gemacht hatte und der die Welt zerschlagen konnte, wenn er nur lange genug auf sie einhämmerte. Und der Steinherr (Kernios, wie Euer Volk ihn nennt) hatte zwar nicht so viele Gefolgsleute, lebte aber in seiner Burg tief in der Erde inmitten der Toten und war bewehrt mit Tricks und Worten, die einem die Augen aus dem Kopf brennen oder die Knochen in brüchiges Eis verwandeln konnten.
    Doch eine Schwachstelle hatten alle drei Brüder, und das war die Schwachstelle, die jeder Mann hat: die eigene Frau. Denn in den Augen ihrer Frauen, so heißt es ja, sind selbst die Erstgeborenen nicht besser als irgendjemand sonst.
    Schon lange hatte der schlaue Krummling Freundschaftsbande zu den Frauen zweier der Brüder geknüpft: zu Nacht, die Himmelsmanns Gemahlin war, und zu Mondfrau,
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