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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe
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Whiskey einzuflößen, doch die Flüssigkeit lief ihr aus den Mundwinkeln. Sie war ohne Bewusstsein.
    Er hastete hinaus auf die Holzveranda und läutete die große Messingglocke, um Magnus Jonsson und seine Frau Palina zu alarmieren, deren Haus eine Viertelmeile entfernt im Wald lag. Er stocherte die ersterbende Glut im Küchenherd auf, legte Holz nach und stellte einen Wasserkessel auf. Danach ging er wieder in die Kammer.
    Er musste ihr die nasse Kleidung ausziehen. Er musste sie berühren. Widerstrebend schlug er die Decken zurück. Seine Finger zitterten leicht, als er ihr nasses Haar zur Seite streifte und die Knopfleiste am Hals fand.
    Eine Frau zu entkleiden war für Jesse etwas Ungewohntes geworden. Gleichzeitig erschien es ihm unerträglich vertraut.
    Er biss die Zähne zusammen und öffnete die Knöpfe. Sie war immer noch ohne Bewusstsein, spürte nichts von seinen ungelenken Bemühungen, als er ihr einen Ärmel abstreifte, dann den zweiten, sie danach aus dem nassen Wollkleid schälte und es auf den Boden warf.
    Darunter trug sie ein schlichtes Hemd, das einst weiß gewesen war. Ihre Brüste und ihr gewölbter Leib zeichneten sich deutlich unter dem dünnen, nassen Stoff ab. Er deckte sie zu und streifte ihr das Hemd unter der Decke ab. Auch ohne sie anzusehen, spürte er ihre weiblichen Rundungen und ihre glatte Haut.
    Ihre Haut fühlte sich Besorgnis erregend kalt an.
    In seiner Aufgeregtheit zerriss er das Hemd, während er es ihr nach unten zog, dann warf er es zum Kleid auf den Boden. Er zog ihr die Decken bis zum Hals hoch, schlug sie an den Seiten ein und stand auf.
    Er zitterte an allen Gliedern.
    In der Küche füllte er Flaschen und Kannen mit heißem Wasser und stellte die Gefäße nah an ihren Körper, um sie zu wärmen. Danach lehnte er sich gegen die roh gezimmerte Bretterwand und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Geschafft. Doch der schwierige Teil lag noch vor ihm.
    Das Haus des Leuchtturmwärters war weniger ein Heim als eine Notunterkunft. Das einstöckige Holzhaus mit einem offenen Speicherraum am Waldrand reichte für Jesses Zwecke vollauf, der keine Ansprüche stellte, nur das Nötigste zum Überleben brauchte. Doch nun, im Licht der Morgensonne, das durch das Ostfenster auf die leblose Gestalt im Bett fiel, wirkte es klein, eng und schäbig.
    Die Kammer neben der Küche war dafür gedacht, einen bettlägerigen Kranken zu beherbergen, um die Pflege zu erleichtern. In all den Jahren, die Jesse hier wohnte, war sie bislang unbewohnt geblieben.
    Bis jetzt.
    Die Frau lag reglos unter den Decken. Ihr Gesicht war bleich, ihr Ausdruck friedlich, ihr nasses rotes Haar von Salzwasser verklebt. Eine zierliche Hand lag unter dem Kinn. Ihre zarten Lider waren von hauchdünnen blauen Äderchen durchzogen.
    Ich bin am Leben. Ich glaube, das ist ein Wunder.
    Die Worte, die sie unten am Strand gehaucht hatte, gingen ihm durch den Sinn. Aus den kurzen Sätzen hatte er einen Akzent herausgehört, einen Singsang, den er nicht einordnen konnte. Sie hatte die Augen nicht geöffnet.
    Er hätte gerne gewusst, welche Farbe ihre Augen hatten.
    „Wer bist du?" raunte er heiser. „Wer, zum Teufel, bist du?"
    Dornröschen. Ihr Bett sollte in einer sonnendurchfluteten, von Rosen umrankten Laube stehen, sie sollte nicht in einer grob gezimmerten Bettstatt mit einer durchgelegenen Strohmatratze liegen. Sie sollte von einem Märchenprinzen geweckt werden, nicht von Jesse Kane Morgan.
    Er wandte sich ab. Sie anzusehen schmerzte ihn wie der Blick in die gleißende Sommersonne. Es wäre besser für alle, wenn sie das Bewusstsein nicht wiedererlangte und in den Tod hinüberdämmerte und nie erfuhr, wer sie dem Meer entrissen hatte.
    Zugleich aber drängte es ihn, auf die Knie zu sinken, die Frau bei den Schultern zu nehmen und sie anzuflehen, am Leben zu bleiben.
    Er begann, in der Kammer hin und her zu wandern, und fragte sich, wo die Jonssons so lange blieben. Während er versuchte, seine Ungeduld zu zähmen, sah Jesse sein Haus mit anderen Augen, so wie ein Fremder es sehen würde. Grob gezimmerte Holzmöbel, eine einfache Wanduhr, deren langes Pendel die Zeit mit unerbittlicher Verlässlichkeit maß. Die Fensterläden waren geöffnet, um die Morgensonne einzulassen. Palina hatte sich erboten, Vorhänge zu nähen, Jesse aber hatte nichts übrig für Rüschen und Spitzen.
    An der Längsseite des Wohnraums stand ein Regal voller Bücher. Romane von Dumas, Flaubert, Dickens. Essays und Erzählungen von
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