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Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)

Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)

Titel: Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
Autoren: Herbert Dutzler
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– mindestens und höchstens. Dass das nur eine Schätzung gewesen wäre, das wussten sie selber auch. „Das Tote Gebirge ist ja bekannt dafür, dass es seine Leichen frisst. Maden, Raubvögel, Marder und so weiter. Ihr wisst ja.“ Vor Gasperlmaiers innerem Auge erschienen Bilder, auf denen riesige Geier an den Fingern einer abgestürzten Frau zerrten. Er bemühte sich, seine Gedanken zu verdrängen, und starrte dem Doktor Walter ins Gesicht.
    „Kopfhaut und Haar sind teilweise noch vorhanden, es kommt ja im Gebirge oft auch zu Mumifizierungen von Leichen. Denkt an den Ötzi.“ Er richtete sich auf, seufzte ein paar Mal, zögerte, so als ob er bei der Millionenshow eine entscheidende Frage zu beantworten hätte, und entschloss sich schließlich doch zu einer Einschätzung.
    „Ich sag euch, nach einem Jahr kann eine Leiche schon so ausschauen.“ Gasperlmaier erschauderte bei dem Gedanken, dass von einem quicklebendigen Menschen nach einem Jahr nur mehr ein Häufchen unansehnlicher Knochen übrig war. „Außerdem“, der Doktor deutete mit dem Finger auf die Jackenreste, „ist das eine Gore-Tex-Jacke, und die ist nicht mehr als zwei, drei Jahre alt. Und außerdem – so was trägt man wohl nicht zum Skifahren. Vorigen Sommer oder Herbst also, vielleicht.“ Das musste der Doktor ja wissen, dachte Gasperlmaier bei sich, der die Kunst des Mediziners geringschätzte. Dass er mehr von Sportjacken verstand als von Magengeschwüren, dessen war sich Gasperlmaier sicher, hatte er den Doktor doch viel öfter im Ski- oder Golfdress als im Arztkittel gesehen, sogar während der Ordinationszeiten. „Was macht’s ihr jetzt weiter?“, wollte der Doktor Walter nun wissen. Der Friedrich zuckte mit den Schultern, schwieg und trat von einem Fuß auf den anderen. Gasperlmaier wollte ihm keinesfalls vorgreifen, war doch der Friedrich der Vorgesetzte. „Die da“, meinte er, wobei er auf das Skelett deutete, „muss auf jeden Fall in die Gerichtsmedizin, man muss sie ja identifizieren. Da werd ich mich gleich drum kümmern.“ Umständlich kramte der Friedrich sein Handy aus der Brusttasche. Dass der damit überhaupt telefonieren konnte, dachte Gasperlmaier – nicht zum ersten Mal – bei sich. Das Telefon schien in den gewaltigen Händen des Kahlß Friedrich wie ein Spielzeug für Puppenmütter, ein Finger des Friedrich schien fast so dick wie das ganze Gerät.
    „Sakrament, Sakrament, Sakrament!“ Wenn der Friedrich sein Phlegma abschüttelte, dann aber so, dass es die Umstehenden ganz gewaltig riss. Mit seinem Zeigefinger klopfte er auf das Display des Handys. „Kein Empfang. Ich geh hinein, telefonieren.“ Gasperlmaier blieb mit dem Doktor allein zurück, der seinen Koffer, den er nicht einmal geöffnet hatte, vom Boden hob und Anstalten machte, zu seinem Auto zu gehen.
    „Herr Doktor, wenn die von der Bergrettung aber noch einmal mit einer Leiche herunterkommen?“, gab Gasperlmaier zu bedenken. „Ihr habt’s noch eine Leiche?“, fragte der Doktor erstaunt. Gasperlmaier dämmerte, dass der Doktor von dem mysteriösen Anruf ja noch nichts wusste, und setzte ihn ins Bild. Der schnaubte nur. „Glauben Sie im Ernst, dass die bei dem Nebel an einem Tag zwei Leichen finden, wenn sie nicht einmal wissen, wo genau sie abgestürzt ist? Machen Sie sich nicht lächerlich. Und wenn, dann fahr ich halt noch einmal herauf. Was aber sicher nicht passieren wird.“ Noch bevor Gasperlmaier richtig zu Atem gekommen war, hatte der Doktor schon die Autotür hinter sich zugeknallt und den Motor gestartet. Gasperlmaier war nun mit seiner Leiche allein, und um diesen Zustand schnellstmöglich zu beenden, folgte er dem Friedrich in die Loserhütte hinein.
    Der war noch immer am Telefon, aber als er Gasperlmaiers ansichtig wurde, hielt er die Sprechmuschel hastig zu und schickte ihn sofort wieder hinaus. „Die Leiche musst bewachen! Stell dir vor, es kommen Wanderer und schauen nach, was da liegt!“ Gasperlmaier teilte die Meinung des Friedrich zwar nicht – normalerweise, fand er, schlichen Wanderer nicht um die Schutzhütten herum und kontrollierten, was da unter Planen verborgen war –, hielt sich aber dennoch an die Anweisung, trat auf die Terrasse und behielt die Trage zumindest aus dem Augenwinkel unter Beobachtung.
    Das Wetter hatte sich weiter gebessert, immer wieder blinzelten Sonnenstrahlen zwischen den Nebelfetzen hindurch, und für einen kurzen Moment meinte Gasperlmaier, durch ein Loch in der Wolkendecke sogar den See
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