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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Spritzwasser der Wellenberge aus. Ganz hinten, an der Slip, stand der Bestmann zwischen den beiden sich aufwickelnden Kurrleinen.
    Neben Rösch wartete der Windenfahrer auf den entscheidenden Befehl, die Netzwinde wieder in Gang zu setzen, nachdem die Luken geflutet waren, und prompt kam die Meldung auch aus den Lautsprechern: »Maschinenraum an Brücke, Fluten gelukt; sorry, Luken geflutet!«
    »Brücke an Trawlbrücke: Hiev up!«
    »Aye, aye, Käpt’n«, sagte der Bootsmann und nickte dem Windenfahrer zu, der die Winsch sofort los brachte.
    Die Schwimmkörper des Netzes tauchten auf, die Deckleute hielten die Kurrleinen straff.
    Schwärme von Möwen kamen aus dem Nichts über das Schiff, aus allen Richtungen fielen sie ein. Schreiend und lachend stürzten sie sich auf die dicht unter der Oberfläche zappelnden Rotbarsche.
    Ein gigantischer roter Teppich, der mit jeder Faser das Meer aufzupeitschen schien. Der Fisch kämpfe, aber er hatte bereits verloren, Robert Rösch schätzte den Teppich auf anderthalb Kilometer. Er jubelte in eine Böe hinein und schlug mit der Faust aufs Schanzkleid.
    Die Netzbeschwerer krachten bereits die Slip hinauf, der Teppich wurde zusammengezogen, und Rösch sah den Bestmann wild gestikulieren. Die Deckmänner verstanden und begannen, das schwere Vornetz an Bord zu hieven.
    Sie waren der eine Mann mit den zwei Armen, die die beiden Kurrleinen Stück um Stück an Bord zogen. Auf vereisten Planken. Zwischen aufkommenden Böen der Windstärken neun und zehn. Vom Seegang von einer Seite auf die andere geschleudert. Von Orkanwellen umgeworfen. Kniend, liegend, kriechend, doch niemals die Leinen loslassend, niemals! Und niemals den Takt verändernd, in dem sie zogen, niemals! Vor sich die Bilder der Heimat, zogen und schrien sie im Rhythmus gegen den Rhythmus der See.
    Und auch Robert Rösch schrie den Takt lauthals mit, die Hände fest um den Vierkant der Reling. Er ließ sich die Worte von den Lippen reißen, ließ den Sturm sie zerfetzen, schrie ununterbrochen Sätze heraus, von denen er plötzlich im Überfluss hatte, Sätze, die zum Dialog wurden, in dem alles ausgesprochen wurde, was einem Hochseefischer wichtig war; Sätze, die in zwei Worte passten: »Hiev? – Up!«
    »Hiev!«
    »Up?«
    »HIEV?«
    »UP!!!«
    Die Stahlplatten, die das Schleppnetz am Meeresgrund offen hielten, schleiften übers Fangdeck, der Dialog der Männer setzte sich ohne Unterbrechung fort: »Hiev? – Up!«
    Das Vornetz lag auf dem Heck, das Hauptnetz dehnte sich mehr und mehr. Das Nylon zog sich in die Länge, aber reißen werde es nicht, oder?: »Hiev? – Up!«
    Der eine Teil des Netzes war schon an Deck, der andere befand sich noch immer im Wasser und wurde schwerer, schwerer und schwer. Erneut schlug ein Kaventsmann die Deckleute nach steuerbord gegen die Reling, aber den Rhythmus der Fänger konnte auch er nicht verändern: »Hiev? – Up!«
    Die gequälte See schien zu ächzen, glaubte Robert Rösch, als wolle sie ihren Reichtum nicht opfern, aber ein Fischer heiße nun mal Fischer, weil er fischt: »Hiev? – Up!«
    Und nicht, weil er sich den Raub wieder rauben lasse: »Hiev? – Up!«
    Noch war die Größe des Fangs das Geheimnis der gepeinigten See, doch hatten die vorderen Kammern geflutet werden müssen, damit das ganze Schiff beim Hieven nicht nach hinten überschlug. So mächtig also war der Hol! So gewaltig der Schwarm, den sie sich da geholt hatten: »Hiev? – Up!«
    Sie hievten eisern, der Windenfahrer ließ die Kurrleinen weiter über die Slip aufrollen, immer weiter gehe das Schiff trotz allem mit dem Heck nach unten, bemerkte Robert Rösch und sah lahmen Michel ausrutschen. Sich am Seil festhalten. Noch im Rutschen den Takt halten. Jeden Moment musste der Fang auftauchen. Lahmer Michel lag auf dem Rücken, das abfließende Wasser über sich, doch er zog weiter im Takt der Hochseefischer.
    Robert sah lahmen Michel wieder auf die Knie kommen, schwerfällig, langsam, aber dann war er doch wieder Teil einer Größe, Faser eines Muskels. Robert Rösch atmete durch.
    »Winde stopp!«, sagte der Bestmann durch die Funke, und sofort nahm der Windenfahrer die Hände von den kurzen, schwarzen Hebeln mit den Kugelenden.
    Das Vornetz wurde zusammengezogen und an den Rand gebracht, der Bestmann hielt die Steertleine straff in der Hand, mit der durch einen Knoten die Netzöffnung zusammengehalten wurde, und Robert Rösch beugte sich über das Schanzkleid und wusste, der Moment war da.
    Alle zweihundert
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