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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer
Autoren: Volker Harry Altwasser
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den Kopf, stand auf und fragte: »Und die anderen beiden Male?«
    »Die waren nicht mehr so schlimm, weil ich vorbereitet war«, antwortete Robert Rösch und erhob sich ebenfalls: »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie mit meinem Kram so belästigt habe. Entschuldigen Sie bitte, Herr Kapitän. – Ich weiß, man bringt die persönliche Scheiße nicht mit an Bord.«
    »Kein Thema«, sagte der Kommandant, und als Robert Rösch schon am Schott war, da fragte er doch: »Und warum? Was war auf Rügen?«
    Robert drehte sich halb um, hielt die Metalltür auf und winkte ab.
    Und der Kommandant der Saudade nickte, war es ihm doch auch lieber so.
    Er zog sich die Jacke über, während Filigraner den Niedergang hochstieg, um vor der Schicht noch eine Mütze Frischluft zu nehmen.
    Als schnitten der unerbittliche Sturm und das mit Eissplittern gespickte Salzwasser, das in Böen übers Oberdeck fegte, die Gesichtshaut in Fetzen. Die Kordel des Fischerhuts würgte Robert Rösch, so dass er sie vom Kehlkopf weg auf die beiden Knochen ziehen musste, die aufeinander zuliefen. Der Orkan raubte ihm den Speichel, er musste aber den Mund offen halten, um überhaupt noch atmen zu können. Doch trotz allem mochte er die Georgebank , auf der sie sich befanden, schmolzen hier die mächtigen Eisberge des Nordens doch geradezu majestätisch vor sich hin. Robert Rösch meinte, hier, wo der Golfstrom den Labradorstrom schneide, sei der größte Eisbergfriedhof der Welt, und sich auf einem solchen zu befinden, das Wrack der Titanic unter sich zu wissen, das sei schlicht das Erhabenste. Geduckt stand er. Breitbeinig. Mit beiden Händen hielt er sich am stählernen Vierkant des Schanzkleides der Nock fest. Ließ die See sich über ihn ergießen, ließ das Salz die Haut ausbrennen, ließ die Sturmwellen sich an ihn brechen. Er trotzte dem Orkan und dachte: ›Lern schwimmen und verarsch die Haie.‹
    Ein paar Seemeilen weiter westlich waren Boston und New York, ganz in der Nähe befand sich Nuntucket Island, die Heimat des legendären Walfängers Ahab , doch was kümmerte ihn das alles? Nicht viel. Robert Rösch grinste und genoss den Schauder, der ihn durchfuhr, als die Stimme des Kommandanten durch die Bordlautsprecher den neuen Kurs befahl und mit den Worten endete: »Hiev ab in vier Minuten. Deck besetzen. Deckbesatzung: Netze aufklaren!«
    Sturmstärke neun, Tendenz steigend, doch Robert Rösch wollte auf dem Außenbalkon der Trawlbrücke bleiben und dem Hieven zusehen, ehe er wieder nach unten zu den Fließbändern musste. Er schlug einen Gordingstek an einen Schekel. Auch wenn dieser Never-open-again-Knoten sich bei Last stark bekniff und dann nur noch mit einem Marlspieker wieder gelöst werden konnte, Robert Rösch schlug ihn, war doch ein sicherer Knoten der dritte Arm des Seemanns. Er wusste, der Gordingstek sei treuer als jede Katze und diese Treue würde ihn an Bord halten, auch wenn der Kaventsmann noch so riesenhaft daherkäme.
    Nirgends fand sich auch nur der Schimmer eines Sterns. Gischt und Schaumkronen waren das einzige Hell in der Weite, und nur die vierzehn Starkstromlampen auf dem Fangdeck unter ihm waren eine wirkliche Lichtquelle, wenn die roten und grünen Lämpchen der Trawlbrücke nicht galten, die sich neben Robert Rösch befanden und die er nicht gelten ließ. Und auch nicht den grünlich bläulichen Schimmer der Hauptbrücke über sich. Gischt, von überall her Gischtkronen, zwar nur für Sekunden auftauchend, kamen sie ihm aber doch schaurig schön wie weiße Schatten des Todes vor.
    Der Trawler machte langsame Fahrt, den Orkan so gut wie möglich abwetternd, aber gut ging es nicht. Auch Rösch spürte das Ankämpfen des Schiffes gegen die See. Wellenberg um Wellenberg erklomm es, um sich sofort in die Tiefe zu stürzen, und obwohl der Orkan sich verstärkte, plättete er die See. Der Seegang ließ nach, doch immer mehr Wasser wurde wie Staub durch die Luft geschleudert. Schließlich lagen die weißen Schatten des Todes selbst bei Robert Rösch auf der Nock. Er hörte den Sturm kreischen und grinste abfällig. Er dachte an die These des uralten Richards , der sich schon seit weit über fünfzig Jahren an Bord des Trawlers befand. Die Möwe kreische nur deshalb, weil sie die Fische in Panik versetzen wolle, denn ihr Kreischen erinnere den Fisch an die Geräusche der Stürme. So komme der verstörte Fisch der Oberfläche zu nahe und sei eine leichte Beute für die Möwe, die noch ganz andere Sachen könne, ganz
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