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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer
Autoren: Volker Harry Altwasser
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plötzliche Durchsage, Fischverarbeiter Robert Rösch solle sofort in den Funkraum kommen. Heute nicht. Heute werde Fisch gefangen und verarbeitet, meinte er. Heute werde mit den Händen geantwortet. Und gleich könne auch er loslegen.
    Der Bootsmann nahm das Funkgerät in die Hand und sagte: »Bestmann, hörst du mich?«
    »Klar und deutlich«, kam es vom Vorarbeiter der Deckmannschaft zurück, der auf dem Fangdeck die Bewegungen der zwanzig Männer koordinierte.
    »Gebete beendet, fluchet und ziehet!«, sprach der Bootsmann die uralte Formel der Hochseefischer, die nun schon seit Jahrhunderten das Hieven einläutete.
    Robert Rösch sah den blonden Iraner , der sich zum Heckende kämpfte, um die Heckklappen auszuhaken. Er sah ihn für Sekunden im einströmenden Eiswasser verschwinden, als er das Eis von den Heckklappenquerstangen abschlug. Er sah ihn ausrutschen und mit dem Hinterkopf auf die Eisenplanken schlagen, aber schon sah Robert Rösch ihn wieder stehen als der Teil des einen Mannes, zu dem sie da unten geworden waren. Wie prachtvoll sich der blonde Iraner am Tau wieder auf die Beine zog, ein Lächeln im Gesicht, war er doch gerade Vater von Drillingen geworden. Da stand der blonde Iraner wieder, und Robert Rösch sah ihm nickend zu, wie er die Handschuhe auszog und mit bloßen Händen ins Meerwasser griff, um die Bolzen der Fangleinenverankerung herauszuziehen. Nichts sei groß genug, um einen Mann, dem die treue Ehefrau gerade Kinder geboren habe, in die Knie zu zwingen, Robert Rösch brüllte einen Gruß, der aber vom Sturm weggerissen wurde, so dass er ihn selbst nicht verstand.
    Wenn nur dieser vermaledeite Monat Mai nicht wäre!
    »Aufkommen in einer Minute!«, sagte der Windenfahrer zum Bootsmann, der neben ihm stand. Robert Rösch sah zu ihnen, keine fünf Meter von ihm entfernt, und da der Sturm von backbord kam, brachte er ihm jedes Wort mit. Er sah den Bootsmann nicken und ins Funkgerät sprechen: »Bestmann, hiev up in einer Minute!«
    »Verstanden, eins null. – Arschlöcher, legt an!«
    Die Deckmänner nahmen die beiden Netzseile auf, Robert Rösch sah ihnen weiter vom Balkon der Trawlbrücke zu, und obwohl der Orkan ihn von einer Ecke in die andere warf – um nichts in der Welt wäre er jetzt gewichen.
    Für einen Moment herrschte im ganzen Schiff Regungslosigkeit. In den Maschinenräumen, in den Verarbeitungshallen, in der Navigation, auf der Hauptbrücke, auch in der Kantine und im Büro des Wachtmeisters, und selbst der Funker schaltete für diesen Moment die Verbindung zu den anderen Trawlern ab, um sich auf die Bordlautsprecher zu konzentrieren. Alle einhundertsechsundsiebzig Männer hielten den Atem an, der Kommandant stand still im Orkan, die Füße fest auf den Planken. Allein Daumen und Zeigefinger des Windenführers bewegten sich jetzt auf dem einhunderteinundvierzig Meter langen Schiff. Jetzt galt alle Elektronik nichts. Jetzt galt einzig das Tasten des Windenführers.
    Rösch harrte mit seinen Kollegen in stummem Bangen aus.
    Noch dreißig Sekunden. Er hielt den Atem an, als könne in diesem Sturm ein einziger, unbeherrschter Atemzug das Netz von den Leinen reißen. Die Hände des Windenführers hielten still. Endlich, langsam atmete Robert Rösch aus.
    »Kapitän, das Heck drückt!«, erklang die Stimme des Bootsmanns durch die Lautsprecher. Mürrisch klang sie, der Mann jedoch grinste, und auch Rösch lächelte.
    »Hier Brücke, Maschinenraum! Alle Maschinen stopp! Vorschiffluken eins bis fünf fluten. Sechs bis acht halb fluten! Ende«, sagte der Kommandant.
    Und aus brach der Jubel auf dem gesamten Hochseeschiff!
    Wild schrien sich die Männer an, endlich, endlich sei die fanglose Zeit zu Ende. Endlich gebe es wieder Arbeit für die Hände, Robert Rösch wusste sie alle im Taumel vereint und jaulte vor Freude mit.
    Unterhalb der Trawlbrücke versammelte sich nun die halbe Mannschaft, um den Hol mit eigenen Augen zu sehen. Alle Freigänger der Backbordwache drängelten sich unter Robert Rösch, um dem Hieven beizuwohnen, doch er, Robert Rösch, hatte als erster den Riecher gehabt und sich den besten Platz gesichert.
    Er grinste und sah zum Windenfahrer und zum Bootsmann, die sich weiter auf der Trawlbrücke befanden, ehe er sich auf die Deckbesatzung konzentrierte, die nun gelbe Gummijacken trug. Sie stand in Formation auf dem Fangdeck, die Leinen in der Hand. Vermummt und mit großen, schwarzen Zahlen auf den Rücken, deren Ränder reflektierten, so hielten sie im eisigen
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