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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Finger des einen Mannes schlugen in die Maschen der Monroe und hievten das Hauptnetz mit vibrierenden Armen aufs Heck.
    »Winsch auf!«, schrie der Bestmann durch die Funke, und wieder gehorchte der Windenfahrer sofort.
    Dem Wasser entstieg der bereits zur Hälfte aufs Eisen gezogene Fisch nun zur Gänze.
    Taumelnd hing er in der Luft, umkreist von den leuchtenden Vögeln der See.
    Lotrecht hing der Fisch über dem Schiff, das schwankte und pendelte und dem Fang fast unterlegen war.
    Und auf jubelten die Männer des Fang- und Verarbeitungsschiffes Saudade !
    Da hingen zweitausend Zentner Rotbarsch.
    Vierzigtausend zappelnde Fische zusammengepfercht zu einem einzigen Ungetüm.
    Da hing er! Der rote Wal ! Gefangen im Nylonnetz.
    Der rote Bruder des sagenumwobenen Moby-Dick , er war aus dem Wasser gezogen, er war gestellt.
    Und als plötzlich ein grässlicher Urschrei zu hören war, der aus den Untiefen der schwarzen See kam, ein Quietschen, da schien es Robert Rösch einen Moment lang, als habe der Teufel Ahab aufgelacht, ehe er sich eingestand, auch er könne in so einem Augenblick selbst den eigenen Ohren nicht trauen.
    ›Du fetter roter Wal ‹, dachte er, doch mehr fiel Robert Rösch nicht ein, war ihm dieser Anblick doch zu erhaben, zu groß, übermächtig.
    Sie hatten mitten auf einer Rotbarschwiese zugeschlagen, auch Rösch konnte sein Glück kaum fassen, denn war es nicht so, dass sich auf so einer Wiese noch mehr Fisch fand? Noch viel mehr? Jawohl! Um darauf ein klares Ja geben zu können, war Rösch schon lange genug an Bord des Trawlers.
    Zufrieden verfolgte er, wie auf dem Fangdeck die Luke des Frischwasserbunkers siebzehn geöffnet und wie der rote Wal dorthin dirigiert wurde.
    Er spürte, dass das Schiff sich in der Längsachse stabilisierte, und fand auf den Gesichtern der schwer arbeitenden Männer das Glück eingefroren. Das Glück als tiefe Abwesenheit.
    Und verdammt ja! Auch Robert hätte jetzt gerne Mathilde an der Seite gehabt! Wie der Rotbarsch so zusammengepfercht über der Luke baumelte, wie die Scheerbretter auf den Planken klapperten, wie die Kurrleinen von den erschöpften Männern fallengelassen wurden, wie der Bestmann unter das Netz trat und den Steertknoten mit einem einzigen Ruck löste; diesen Augenblick, in dem der gigantische Fang in den Tank prasselte, diesen Moment des Fischregens hätte er gern mit seiner Frau geteilt. Nur ein einziges Mal!
    Moby-Dicks roter Bruder sei gefangen, er könne verarbeitet werden, Robert Rösch drückte die Mundwinkel nach oben und strich sich mit der Zunge das Salz von den aufgesprungenen Lippen. Er blickte weiter starr geradeaus.
    »Vorschiff leerpumpen!«, kam es aus den Lautsprechern.
    »Vorschiff leerpumpen, verstanden!«
    »Winsch fest!«
    »Winsch ist fest!«
    »Halbe Fahrt voraus!«
    »Halbe Fahrt voraus!«
    Die Seemannsrollen wurden abgespult, und Robert Rösch ging mit den anderen Freiwachen ins Innere des Schiffes zurück, nachdem er den Gordingstek nur mit Mühen und mittels Marlspieker hatte aufbrechen können, während er an langer Finger dachte, der ihm vom Lachs erzählt hatte.
    Der Lachs könne sich wie alle Fische erinnern. Der Lachs könne sich exakt an den Geruch des Wassers erinnern, in dem er geboren wurde. Er finde genau die Stelle wieder, um selbst dort zu laichen. Das sei ein göttliches Vermögen, hatte langer Finger gemeint: »Wir suchten Gott immer im Himmel, aber was soll sein in der Kälte zwischen den Sternen, die nur eine Spiegelung des Weltmeeres ist? Im Fisch zeigen sich uns die Gottheiten, und ohne Fisch sterben wir aus.«
    Uralter Richard hatte genickt und geantwortet: »Und der Rotbarsch wird bis zu siebzig Jahre alt! Da kommt schon was an Erinnerung zusammen, meine ich. Wenn wir sie lassen würden, hätten die Rotbarsche bald so viel Erinnerung zusammen, dass sie uns damit jagen könnten! Aber wir lassen sie ja nicht. An Land ist der Wolf der Hai, und wir machten ihn zum Hund, aber auf See brauchen wir keine Hunde!«
    Robert Rösch grinste beim Schließen des Außenschotts. Und langer Finger , was für ein guter Kerl der doch gewesen war! So gut, dass seine eigenen Götter ihn verspeist hatten!
    In der Messe nahm sich Robert Rösch einen der tiefen Teller, ließ ihn sich vom Smutje mit Eintopf füllen, in dem Fettaugen und Putenfleisch fast die einzigen Zutaten waren, ging an seine Back, setzte sich auf seinen Stammplatz zwischen uralter Richard und Christian, Opernsänger genannt, und bevor Robert Rösch einen
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