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Lesereise Schottland

Lesereise Schottland

Titel: Lesereise Schottland
Autoren: Ralf Sotscheck
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Baukosten im Laufe der Zeit ins Unermessliche stiegen. Am Ende mussten die Steuerzahler für den Holyrood-Prunkbau, der mit jahrelanger Verspätung schließlich 2004 bezugsfertig wurde, vierhunderteinunddreißig Millionen Pfund berappen.
    Der Unterhalt des Gebäudes kostete dreihundertfünfzigtausend Pfund im Jahr – bis die Abgeordneten einzogen. Seitdem sind siebenhundertfünfzigtausend Pfund jedes Jahr fällig, davon alleine fünfunddreißigtausend Pfund für die Fensterputzer, die sich aufgrund der törichten Konstruktion vom Dach abseilen müssen, um von außen an die Fenster zu gelangen. Viele Treppengeländer sind jetzt schon verrottet. Da es sich um Spezialanfertigungen handelt, sind auch Spezialpreise fällig, wenn sie ersetzt werden müssen.
    Zugang zum Parlament haben auch Tauben, wie die Gebäudeverwaltung entsetzt feststellen musste. Man hatte eine Menge Geld für Stahlnadeln auf dem Dach ausgegeben, um die Vögel vom Nisten abzuhalten. Neulich entdeckte der Verwalter ein Nest mit einer jungen Taube direkt über dem Haupteingang.
    Sie soll aber nicht verjagt, sondern professionell umgesiedelt werden. Zu diesem Zweck hat man das Unternehmen Ecolab beauftragt. Ein Sprecher der Firma sagte, man werde abwarten, bis der Vogel flügge ist. Sollte er dann nicht freiwillig abhauen, werde man ihn einfangen und mit einem Tiertaxi in ein Naturschutzgebiet in der südschottischen Grafschaft Ayr bringen. Seit wann stehen fliegende Ratten unter Naturschutz? Die Aktion kostet zweihundertfünfzig Pfund – pro Taube. Denn es ist kaum zu erwarten, dass dies ein Einzelfall bleibt. Die Parlamentsangestellten sind beauftragt worden, wachsam zu sein und nach weiteren Exemplaren Ausschau zu halten.
    Die unabhängige Abgeordnete Margo McDonald sagte: »Für zweihundertfünfzig Pfund drehe ich jeder Taube selbst den Hals um.« Der »Beratungsdienst für Taubenkontrolle« erklärte, er hätte die Vögel kostenlos entfernt, aber die Schotten geben gerne Geld für Tiere aus. 2004 zahlte die Regierung zwanzig Pfund steuerfreie Kopfprämie für jeden Igel auf der Hebrideninsel North Uist. Die Stacheltiere wurden geschlachtet, um die einheimischen Watvögel zu schützen. Zwei Jahre später heuerte man für fünfhunderttausend Pfund Schädlingsbekämpfer aus Neuseeland an, um Ratten auf der Insel Canna zu vergiften. Zuvor wurden jedoch hundertzwanzig Mäuse in den Zoo von Edinburgh evakuiert, damit sie nicht versehentlich mitvergiftet wurden. Nach der Rattenvernichtung durften die Mäuse wieder auf die Insel zurückkehren.
    Die Schotten könnten eine Menge Geld sparen, wenn sie statt der Tauben die Abgeordneten umsiedeln und sie über einer unbewohnten Insel vor der Westküste abwerfen.

Annie, das Tönnchen
    Schotten haben es nicht leicht. Sie werden nicht mal von ihren Nachbarn, den Engländern, verstanden. Das Außenministerium in London findet die Sprache offenbar so abwegig, dass es den Antrag einer Russin ablehnte, die sich in Schottland für einen Sprachkurs beworben hatte. Das sei reine Zeitverschwendung, befand der Ministerialbeamte. »Sie haben angegeben, dass Sie Ihre Englischprüfung wiederholen müssen«, schrieb er, »aber Sie können nicht ausreichend begründen, warum Sie ausgerechnet in Schottland einen Englischkurs belegen wollen – statt in Oxford oder Cambridge, wo Sie weniger Schwierigkeiten hätten, den regionalen Dialekt zu verstehen.«
    Selbst unter Schotten ist die Verständigung nicht immer einfach. In Cromarty, einem Hafenstädtchen in den Highlands, war früher ein Fischer-Dialekt weit verbreitet. Heutzutage wird er nur noch von zwei Brüdern gesprochen. So ist die Auswahl ihrer Gesprächspartner äußerst begrenzt. Da beide bereits über 80 sind, will das Kulturarchiv der Highlands den Dialekt geschwind aufzeichnen, damit spätere Generationen noch darüber staunen können. Statt »good« sagen die Brüder zum Beispiel »geed«, und »school« heißt bei ihnen »skeel«. Außerdem streuen sie gerne den Buchstaben »h« ein, lassen ihn dafür bei anderen Worten, denen er eigentlich zustünde, bisweilen weg, sodass die H-Anzahl insgesamt gesehen wieder stimmt. Aus »House« wird beispielsweise »oos«, der Mädchenname »Annie« aber wird zu »Hanni«.
    Annie taucht manchmal auch in schottischen Gerichten auf, meist wird sie als Tönnchen verunglimpft: »Barrel Annie.« Das beruht auf einem Missverständnis. Gemeint ist Barlinnie, ein Vorort von Glasgow, der für das größte Gefängnis Großbritanniens
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