Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lesereise Schottland

Lesereise Schottland

Titel: Lesereise Schottland
Autoren: Ralf Sotscheck
Vom Netzwerk:
informiert, nicht jedoch über den Namen der Brennerei. Das wollen die Brennereien, deren Erzeugnis zu den wichtigsten Exportgütern Britanniens zählt, nämlich nicht, denn ihr Markenname steht für ein bestimmtes Produkt, dessen Geschmack und Qualität jahrein, jahraus gleichbleibend ist. Das erreicht man aber nur, wenn verschiedene Fässer gemischt werden. Beim Whisky hängt viel vom Fass ab, das Holz habe einen großen Einfluss auf den Whisky, sagt Sibh Megson. Es gibt der geschroteten Gerste, die mit heißem Wasser aufgeweicht, mit Hefe vergoren wird und dann in Destillierapparaten, den stills, zum Whisky reift, die Farbe und den unverwechselbaren Geschmack.
    So enthalten die Fässer, die die Malt Whisky Society kauft, ein einmaliges Produkt. Der Whisky hat die Alkoholstärke, die er auf natürliche Weise mit den Jahren erreicht hat. Der Gedanke an eine Filterung würde den Puritanern die Haare zu Berge stehen lassen. »Damit würdest du auch bestimmte Aromastoffe herausfiltern«, sagt Richard Mohan.
    Um den Mitgliedern Anhaltspunkte zu geben, veröffentlichen die Experten ihre Urteile im regelmäßig erscheinenden Vereinsblatt. Da ist dann von einem »seltsamen Hauch von Kreosot und Waffenöl, von alten Zäunen und gerade abgefeuerten Pistolenläufen« die Rede. Einem anderen Whisky bescheinigen sie eine »leicht medizinische Note, wie Gipsverbände, dann Earl-Grey-Tee und einen Hauch von Teer«. So etwas soll man trinken? Kein Wunder, dass die Brennereien ihre Namen nicht auf dem Etikett sehen wollen.
    Wer aufpasst, findet den Hersteller aber doch heraus, und zwar anhand der Nummern auf den Etiketten. Die Nummer 4.46 bedeutet zum Beispiel, dass die Flasche aus dem sechsundvierzigsten Fass der vierten Brennerei stammt, und wenn man aufmerksam das Vereinsblatt studiert, kann man aus den versteckten Hinweisen kombinieren, dass es sich dabei um Highland Park handelt. Aus dem Vereinsblatt erfährt man auch, dass die Franzosen mehr Scotch im Monat trinken als Cognac im Jahr, und dass Königin Victoria jeden Tag einen wee dram in ihren Tee geschüttet haben soll. Ein wee dram , das ist ein kleiner Schluck Whisky, kein geeichtes Maß – es kommt auf die Großzügigkeit des Gastgebers an.
    Bei der Scotch Malt Whisky Society erhält man den in Pubs üblichen Fingerbreit, aber der »Members’ Room«, wie es auf dem Messingschild an der Tür heißt, ist alles andere als ein gewöhnlicher Pub: ein hoher Saal mit großen Fenstern, Kronleuchtern und einem dicken Teppich. An der schmalen Seite befindet sich ein Kamin, daneben stehen zwei schwere, grüne Sessel, ein Sofa, in der Ecke eine Chaiselongue. In der Mitte des Raumes steht ein langer Holztisch, groß genug für achtzehn Personen. Ein Club aus den dreißiger Jahren für Gentlemen, so ist der erste Eindruck. Zehn Prozent der Mitglieder seien Frauen, betont Sibh Megson. Neben der Bar liegt ein dickes Gästebuch, in dem Besucher sich verewigen und Bemerkungen abgeben können. »Hier könnte man sich direkt an Whisky gewöhnen«, schrieb ein Werner aus Wattenscheid.
    Es ist ruhig um die Mittagszeit, aber keineswegs leer. Eine Gruppe von Geschäftsleuten nimmt Sandwiches zum Lunch ein, der Kaffee ist kostenlos. Wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man einen hässlichen Wohnsilo aus den sechziger Jahren, wie es so viele gibt in Leith, dem Hafen von Edinburgh mit seinem winzigen Rotlichtviertel. Die Scotch Malt Whisky Society residiert dagegen in einem wuchtigen Bau aus unbehauenem Stein: The Vaults heißt es, »Das Gewölbe«. Es ist das älteste Gebäude in Leith, und bis 1983 war es das älteste Lagerhaus Schottlands, das noch seinem ursprünglichen Zweck diente – der Lagerung von Wein. Die Römer hatten im 1. Jahrhundert Wein nach Britannien eingeführt, die Mönche importierten später Wein aus Gallien, der Hauptumschlaghafen war Leith. Im 15. Jahrhundert gründeten die Orden die Gilde »Bruderschaft von St. Anton«, die den Weinhandel kontrollierte und Abgaben beanspruchte. Nach der Reformation verloren sie das Monopol.
    Wer die Vaults gebaut hat, steht nicht fest, aber man vermutet, dass es die Mönche der Holyrood-Abtei waren. In ihren Annalen ist am 27. März 1439 die Rede von einem solchen Gebäude. Ein Großteil von Leith wurde bei den Überfällen des Grafen von Hertford in den Jahren 1544 und 1547 zerstört. Der Graf handelte im Auftrag Heinrichs VIII., der damit auf eigentümliche Art um die Hand Maria Stuarts anhielt. Da das Gewölbe unterirdisch lag,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher