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Lesereise New York

Lesereise New York

Titel: Lesereise New York
Autoren: Sebastian Noll
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hier Junebug nennen – Junikäfer.
    Wie eine Startbahn in eine schillernde Sportler-Karriere sieht der Cage allerdings nicht gerade aus. Eher so, wie er heißt – wie ein Raubtierkäfig. Das Feld ist gerade einmal halb so groß wie ein reguläres Turnierfeld, der drei Meter hohe Maschendrahtzaun, der ihn umgibt, fängt keinen halben Meter von der Seitenauslinie entfernt an. Die Streben, die den Korb halten, sind dick mit Klebeband umwickelt, damit sich im Gedränge auf dem Platz daran niemand die Rippen bricht. Hinter dem Cage kommt ein weiterer umzäunter Spielplatz, auf dem Handball gespielt wird, das klassische New-York-Ghetto-Spiel, bei dem ein Gummiball mit der bloßen Hand gegen eine Hauswand gedroschen wir. Badminton für Arme.
    Gegenüber, auf der anderen Seite der Sixth Avenue, reihen sich Pornoshops und Tattoostudios aneinander. Es ist, als hätte die sich überall im Village ausbreitende Gentrifizierung aus unerfindlichen Gründen genau diesen Block vergessen. Wie der Cage haben die Schmuddelläden sich hier trotz Luxussanierung und Yuppie-Invasion über die Jahrzehnte gehalten, während rundherum die Edelboutiquen und Cappuccino-Bars einzogen. Unmittelbar neben dem Cage führt ein Treppenabgang in die U-Bahn. Kreischende Waggons aus dem Untergrund übertönen in Minutenabständen die Stimmen auf dem Platz. Das pendelnde Bürovolk hastet jetzt, während der abendlichen Rushhour, in Horden am Cage vorbei. Nur die wenigsten nehmen die Krawatte ab und bleiben ein paar Minuten stehen, um zuzuschauen.
    Dabei gäbe es einiges zu sehen. Jetzt hat Daniels sich etwa wieder irgendwie in die Hälfte der gegnerischen Mannschaft, der »524« aus der Bronx, geschleppt. Mit einer Hand nimmt er einen Pass über das gesamte Feld an und schickt das noppige Rund, ohne zu schauen, hinter dem Rücken zu dem point guard seiner Mannschaft » TNP « – was Take No Prisoners , also »Nehmt keine Gefangenen«, heißen soll. Der Empfänger, den sie S-Class nennen, dribbelt den Ball zwischen seinen Beinen durch an zwei Verteidigern vorbei, lässt einen dritten mit einem angetäuschten Wurf in die Luft steigen, zieht mit einer schnellen Körperdrehung an ihm vorbei und stopft den Ball dann donnernd ins Netz.
    Das Spielniveau auf der Straße in New York und speziell hier, im Cage, ist legendär. Die Mannschaften sind eine Mischung aus Ehemaligen wie Daniels und S-Class, der in Italien als Profi gespielt hat, aufstrebenden Highschool- und College-Spielern, die sich im Sommer mit streetball fit halten, und Spielern, die nie etwas anderes gemacht haben als das hier, die in dem schnellen harten Spiel der Straße aber besser sind als manch ein Profi.
    Und sie kommen alle von der Straße. Das Ghetto ist und bleibt der ergiebigste Zuchtgarten für NBA -Talente. Fünfundsiebzig Prozent der Spieler in der besten Liga der Welt kommen aus dem, was in den USA gerne euphemistisch »Inner Cities« genannt wird – den armen, vorwiegend schwarzen Wohnquartieren der US -Großstädte, die jedoch selten im Zentrum liegen. Eher, wie in New York Harlem, Brooklyn und die Bronx, ringförmig um das reiche, weiße Manhattan herumgruppiert.
    Für schwarze kids aus der Unterschicht ist Basketball die Schnellstraße der Wahl zu Geld und Ruhm, wenn sie nicht einer gang beitreten und Drogen dealen wollen; auch wenn die Zahlen eindeutig dagegen sprechen, auf die Basketballkarte zu setzen: Von den vierzigtausend schwarzen Jungs, die im Schulalter Basketball spielen und als Karriereziel Profi angeben, schaffen es nur fünfunddreißig. Der konventionelle Weg, sich eine Collegeausbildung durch gute Noten in der Schule zu verdienen, um einen soliden Beruf zu finden, bleibt hingegen trotz Obama uncool und stigmatisiert im schwarzen Ghetto. So machen Weiße Karriere.
    Deshalb trainiert Junebug etwa zusammen mit seinem Vater in Brooklyn jeden Tag drei Stunden. Immerhin geht er auf ein kleines Community-College in Long Island, um einen Abschluss zu machen, und spielt während des Schuljahrs für die dortige Mannschaft. Doch auf solchen Colleges schauen die NBA -Rekruteure nicht nach Talenten. Seine große Hoffnung ist, dass er im Cage auffällt. »Man weiß nie, wer hier vorbeischaut«, sagt er.
    Und es gibt sie ja, die Erfolgsstorys, wie etwa die von Kareem Abdul-Jabbar, einem der Größten aller Zeiten, der auf den Plätzen New Yorks, hier im Cage und auf dem Rucker in Harlem, angefangen hat. Oder eben die von Lloyd Daniels.
    Daniels war als Teenager in den achtziger
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