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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland
Autoren: Helge Sobik
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Dutzend, Tendenz wieder steigend. Ihr langjähriger Abt suchte die Isolation und duldete nicht einmal fremde Geistliche in »seinem« Inselreich. Der neue will frischen Wind.
    Valamo war eine orthodoxe Welt für sich, etwa so wie die griechische Mönchsrepublik Athos, war verbotenes Land zumal für Andersgläubige. Geht es nach den Mönchen und ihrem progressiven Abt Archimandrite Pankratiy, wird Valamo sich für Besucher jeder Konfession und jeder Nationalität öffnen, wird nach über einem halben Jahrhundert der völligen Isolation aus dem Schatten des Vergessens hervorkommen und schon bald wieder an seine Bedeutung zur Mitte des 19. Jahrhunderts anknüpfen.
    »Will man mehr Menschen für die orthodoxe Kirche interessieren, muss man sie ihnen zeigen, ihre Traditionen, ihre Schätze offenbaren, muss sich öffnen und diskutieren. Was bietet sich da eher an als die alte Pracht von Valamo?« Pater Elias war es, der Pankratiy und seine Mönche überzeugte und es erreicht hat, dass Valamo für ausländische Tagesbesucher geöffnet wurde. Er war es, der für sie vorsprach und ihre Reisen ermöglichte.
    Zweieinhalb Stunden lang pflügt das klostereigene Boot von Sortavala aus über den windgepeitschten See bis Valamo. Platz bietet es für etwa zwei Dutzend Passagiere. An den Fenstern hängen Tüllgardinen, an den Wänden kleine Ikonen. Sechs Stunden würde es mit diesem Schiff bis vor die Tore von St. Petersburg dauern, und unterwegs hat Land selbst am Horizont Seltenheitswert. Der Ladoga-See ist so groß, dass Berlin mehr als zwanzigmal hineinpassen würde.
    Für ein paar Rubel können Besucher an Bord Postkarten mit Ikonenmotiven, heißen Tee aus dem Samowar oder warme Piroggen erstehen. Die Einnahmen kommen der Klosterkasse zugute. Tauno, einer der Tagesbesucher dieser Tour aus Finnland, ist schon am Morgen eher an Wodka interessiert. Fast beiläufig schaut er auf die Uhr – nur um unmittelbar nach dem wohlinszenierten Blick aufs Zifferblatt zu verkünden, es sei liebgewonnene finnische Tradition, um exakt diese Zeit einen ersten Wodka zu trinken. Er duldet keinen Widerspruch. Und gegen Tradition, gewachsenes Kulturgut sozusagen, kann niemand so leicht etwas einwenden. Klar, dass es ebenfalls Tradition ist, zehn Minuten später einen doppelten Wodka zu trinken. Gut, dass es anderswo Tradition ist, sich artig zu bedanken und das Glas als Geste höchster Wertschätzung für den kostbaren Inhalt unberührt stehen zu lassen. Als Reserve für schlechte Zeiten.
    Pater Elias begnügt sich mit Tee, während Taunos ungeteilte Aufmerksamkeit weiter dem russischen Nationalschnaps gilt: »Es gibt drei Möglichkeiten, Wodka zu trinken. Mit Wasser. Ohne Wasser. Oder wie Wasser.« Und wieder hat er einen Becher von dem Zeug vernichtet. Ob der Abt mit »Öffnung« die der Wodkaflasche meinte? Ob ein Missverständnis vorliegt? Vielleicht macht Hochprozentiges die Reise in das verlorene Land, in die vergessene Heimat leichter. Das wird es sein.
    Irgendwann scheinen am Horizont Zwiebeltürme aus dem milchigen Einerlei aus Himmel und Wasser zu ragen. Strahlendblaue Kuppeln. Goldfarbene Verzierungen. Die ersten Bauten von Valamo. Einige davon sind skites, sind Einsiedeleien, wo ein oder zwei Mönche in völliger Abgeschiedenheit hausen. Eine Fjordkrümmung weiter rückt das Hauptkloster ins Blickfeld. Ein gewaltiger Bau auf der höchsten Erhebung der Insel, Nadelwald drumherum, weiße Mauern, hoch über alledem die offenbar frischgestrichenen Kuppeln in sattem Blau, dazu ein raumgreifendes Holzgerüst um die Klosterkirche im Zentrum der Anlage. Bei näherem Hinsehen ist das Gerüst wesentlich einsturzgefährdeter als das Gebäude. Eine abenteuerliche Konstruktion.
    Und doch machen die Restaurierungsarbeiten große Fortschritte. Fünfundzwanzig Milliarden Rubel hatte die russische Regierung dafür mittelfristig zur Verfügung gestellt – Geld, das täglich weniger wird. »Wenn nicht schnell gearbeitet wird, frisst die Inflation den größten Teil dieser Summe wieder auf«, warnt Pater Elias. Der Blick des Priesters mit dem rotblonden Seebärenbart ist sorgenvoll. Damit die Arbeiten schneller vorankommen, legen die Mönche selbst allenthalben kräftig Hand mit an. Und auch von ihren orthodoxen Glaubensbrüdern aus Finnland bekommen sie Unterstützung – ideell wie materiell.
    Als Finnlands Niederlage und damit der Verlust der Ladoga-See-Region im Winterkrieg 1940 absehbar war, wurde die gesamte Klosterinsel in nur wenigen Februartagen
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