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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland
Autoren: Helge Sobik
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Route ist gut gebucht.
    In den schwimmenden Geschäften läuft nette Musik vom Band, es gibt auch Parfum, Süßigkeiten, Zigaretten, es gibt gegerbte Rentierfelle für den mitreisenden Touristen und allerlei nette Souvenirs, meist aus Holz, weil der Fremde Finnland immer mit Holz und Fell und scharfen Messern im Lederetui am Hosenbund assoziiert. Dem Finnen ist das egal.
    Er empfindet es als eine zusätzliche nette Geste, dass die Kassiererinnen in den preiswerten Geschäften auf den Fähren sogar lächeln und er sich beim gemütlichen Likörshopping nicht wie ein Straftäter fühlen muss. Objektiv könnte man sagen: Jeder Finne trinkt, aber nicht alles ist Alkohol.
    Der Finne mag die Geschichten vom trinkfesten Nordländer nicht. Er sagt, das sei doch alles nur Klischee, leugnet die endlosen Getränkeregale auf den vielen Schiffen und bekommt in Diskussionen darüber eine seiner seltenen sichtbaren Gefühlswallungen. Eine Mischung aus Verärgerung und Unverstandenfühlen. Er braucht dann erstmal einen Schnaps …
    Und das Schlimmste: Die Finnin ist keinen Deut anders. Beide sind übrigens immer blond, kräftig, manchmal sogar robust, sehr ehrlich und direkt. Sie sind echte Freunde, auf die man sich verlassen kann – wenn man denn erstmal den Weg in ihr Herz geschafft hat. Und endlich das Alkoholgerede sein lässt.
    Der trockene Humor des Finnen ist großartig. Er kann Bemerkungen reißen, über die sich alle Umstehenden vor Lachen krümmen, und er selber verzieht keine Miene. Nur seine Augen verraten ihn. Hinter dem Pokerface freut er sich mit – und brütet bereits die nächste Bemerkung aus. Er kann sogar über sich lachen und pflegt selber mit Begeisterung die hübschesten Finnland-Klischees.
    Manchmal raucht der Finne selbst heutzutage noch. Das ist nicht so schlimm wie im zugebauten Mitteleuropa mit seinen engen Kneipen, denn den Finnen gibt es nicht so häufig und er hat um sich herum wenig Stadt und ziemlich viel Gegend, so dass der Qualm gut abziehen kann. Besonders günstig bekommt man die Zigaretten übrigens auf den Schiffen.
    Im Winter setzt der Finne riesige Eisbrecher auf der Ostsee ein, damit zumindest die Fahrrinnen freigehalten werden und die Fähren weiterhin unterwegs sein können. Auf dem verschneiten Festland rast er um diese Zeit mit lauten Dreckschleudern durch den Schnee. Die nennt er Motorschlitten. Manchmal überschlägt er sich damit, weil er zu schnell fährt oder zuviel getrunken hat oder beides oder weil er mit einem Elch kollidiert, der gerne die Piste kreuzt, leider immer unbeleuchtet und meist verheerend voluminös ist. Einen Elch fährt man nicht über oder um. Man fährt dagegen. Dann ist der Finne womöglich tot, aber das geschieht nicht so oft.
    Wenn er tot ist, sagt er nichts mehr. Das ist vorher nicht viel anders. Der Finne schweigt fast den ganzen Tag. Und wenn er sich doch mal für kurze Momente angeregt unterhält, dann mit einem kleinen schwarzen Kasten, den er mit dem Daumen auf seinem Handteller fixiert und sich ans Ohr hält. Über die Jahre ist der Kasten immer winziger und leichter geworden. Der Finne mag technische Innovationen sehr, stellt sich gerne moderne Elektronik in sein karg möbliertes, helles Wohnzimmer oder steckt sie sich – wenn die Technik auf transportable Maße geschrumpft ist – in die Hosentasche. Am liebsten ist ihm, wenn er die Geräte irgendwann mal selbst entwickelt hat, irgendwo vor den Toren Helsinkis einen Nokia-Schriftzug auf das Gehäuse bügeln kann und an jedem Exemplar mitverdient.
    Der kleine Kasten kann nur klingeln, wenn jemand reden will, und der Finne kann in solchen Momenten frei entscheiden, ob er gerade abheben und auch reden will. Wenn der Kasten nicht klingelt, aber der Finne ausnahmsweise gesprächig ist, funktioniert das auch. Er drückt Tasten und wartet, bis der Kasten den Gesprächswunsch in den Himmel funkt und im Gegenzug die gewünschten Antworten aus den Wolken fischt. In Finnland funktioniert das in den entlegensten Winkeln und sogar direkt an der nahezu menschenleeren Grenze zum Russen, über die der Finne nicht gern spricht.
    Manchmal freut er sich, wenn plötzlich nette Stimmen aus der handlichen Plastikschale tönen, und er lächelt – außer die Stimmen stören ihn beim Angeln. Übrigens ein sehr angenehmer Sport. Man steht herum, schwitzt nicht, verschleißt weder Gelenke noch Turnschuhsohlen, ist nie außer Atem, hat viel Gegend um sich herum, kann toll schweigen und schlägt mindestens zwei Mücken mit
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