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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland
Autoren: Helge Sobik
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frostigwarme minus sechs Grad im Iglu. Nie hätte man geahnt, dass Minusgrade so kuschelig sein können. Und auch einen Trost kann man sich einreden: Es wäre schlimmer, draußen schlafen zu müssen.
    Der Kopf ist in eine Sturmhaube gezwängt, wie sie sonst nur zur Dienstkluft von Bankräubern gehört: eine bis zum Hals heruntergezogene Mütze mit Schlitzen für Lippen, Nase, Augen. Der Daunenschlafsack ist stramm zugezogen, die Kapuze über den Kopf geklappt. Anfällig für Platzangst sollte man nicht sein.
    Wer eben noch müde war, ist plötzlich wieder wach, lauscht auf Geräusche, horcht, ob der Schnee knirscht, das Eis krächzt, ob Tropfen von der Decke herabtrommeln, spitzt die Ohren und merkt, dass es nichts zu hören gibt. Geheimnisvoll-bläulicher Schein des Lichts aus dem Hof dringt durch die Eiswände, als würde man in einer trockenen Glasglocke unter Wasser wohnen und durch die Zimmerwände in die Fluten schauen können. Nach und nach melden Arme, Beine, Nasenspitze und Nieren ans Gehirn, »alle noch vorhanden, Durchblutung okay«. Zehen und Finger geben ebenfalls Vollzähligkeit an die Zentrale durch. Der Kopf beschließt, das Winterschlafprogramm zu fahren: bloß nicht bewegen, keine Energieverluste riskieren, embryonale Haltung im Schlafsack unverändert beibehalten, kurz darauf wieder Rundruf an Organe und Gliedmaßen, Abfrage, ob immer noch alle am Leben sind, alle paar Minuten erneute körperweite Umfrage. Nach einer Stunde kehrt die Müdigkeit zurück – weil der Kopf eingesehen hat, dass keine Gefahr besteht: Die Kälte dringt nicht bis in den Schlafsack, bringt nicht den Tod und es spricht nichts mehr dagegen, endlich einzuschlafen.
    Irgendwann meldet sich die Blase und möchte das beheizte Klohaus testen. Die Brillengläser sind mit einer dünnen Eisschicht überzogen, die Armbanduhr zeigt völlig unerwartet bereits halb neun Uhr morgens, und in einer Stunde wird die Sonne in Lappland aufgehen. Durchgeschlafen im Eis, Zeit zum Aufstehen: Experiment geglückt, Iglu-Urlaub überlebt! Eigentlich war es sogar gemütlich. Und spannend. Gar nicht schlimm. Eine echte Herausforderung. Eine Erfahrung sowieso. Und echt cool. Eine todesmutige Heldentat mit Weitererzählwert und Schulterklopfgarantie.
    Im Blockhaus-Restaurant gegenüber dampft der Kaffee. Gestern Abend haben die Kellnerinnen bei der Verabschiedung Richtung Iglu mitleidig gelächelt und »viel Spaß« gewünscht. Bei der Rückkehr am Morgen lächeln sie so, als hätten sich ihre Züge über Nacht nicht verändert und fragen »Wie war’s? Are you okay?«. Das »schön«, »nett« oder »nicht schlimm« scheinen sie nicht ganz zu glauben oder für eine Schutzbehauptung zu halten. Die meisten fanden es toll. Sie meinen es sogar so. Weil sie kleiner Junge oder kleines Mädchen gespielt haben und aus ihrem Alltag ausgebrochen sind. Weil sie sich einen Kindheitstraum erfüllt haben.
    Damit noch mehr Träume wahr werden, will Jussi Eiramo sein Iglu-Dorf erweitern, und damit auch die kommen, die mit Kälte nicht umgehen können und deshalb besonders kreativ im Ausredenerfinden sind, hat er bereits im Wald ein paar Glas-Iglus gebaut – mit der Chance, vom Bett aus das grüne Feuer der Nordlichter am Polarkreishimmel zu bestaunen. Und mit Fußbodenheizung.

Im Zwiegespräch mit dem Handy
Finnischen Eigenarten auf der Spur
    Ein besonders schwerer Fall, dieser Finne. Er ist anders als andere. Seltsamer. Sehr eigen. Ein bisschen verschroben. Mindestens. Er leistet sich manche Marotte auch dann, wenn sie teuer ist. Er trinkt zum Beispiel gerne viel – sagen natürlich nur die anderen und er selber bestreitet es. Zu Hause in Finnland dürfen ihm nur spezielle staatliche Geschäfte mit vergitterten Fenstern und Türen harten Alkohol verkaufen. Sie nehmen Horrorpreise für Hochprozentiges. Das Gesetz dafür hat der Staat aus Fürsorge gemacht und verdient nebenbei nicht schlecht an der Vorschrift. Manchmal verreist der Finne und trinkt im Ausland. Das macht Spaß, weil der Staat nichts davon hat und es einschließlich sämtlicher Reisekosten für eine hübsche Tour viel billiger ist als zu Hause in den Gittergeschäften einkaufen zu gehen. Da ist es besonders praktisch, dass von Finnland aus so viele Fähren in die Nachbarländer fahren und man an Bord Hochprozentiges in bunten Travel-value- und Duty-free-Shops mit täglich wechselnden Sonderangeboten erstehen kann. Möglicherweise sind nur deshalb so viele Schiffe unterwegs, und noch die langweiligste
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