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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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ist das schon vorgekommen.«
    Kaja nickte langsam. Er fing an, sich zu entspannen, sie war also auf dem richtigen Weg. Jeder, der seine Sprache ein halbes Jahr lang nicht mehr gesprochen hatte, wurde gesprächig, wenn er einen Landsmann traf. Das war ganz natürlich. Sie musste dranbleiben.
    »Du magst Pferde?«
    Er kaute auf einem Zahnstocher herum. »Eigentlich nicht. Die sind so fürchterlich launisch.«
    »Aber trotzdem setzt du auf sie?«
    »Das schon, aber ein Spieler bin ich nicht.«
    Er lächelte, und wieder überraschte es sie, wie sehr ihn sein Lächeln veränderte, ihn menschlich machte, zugänglich, ja fast jungenhaft. Und sie dachte an das kleine Stück offenen Himmel über der Melden Row.
    » Gambling ist auf lange Sicht eine schlechte Gewinnstrategie. Andererseits – wenn man nichts mehr zu verlieren hat, ist es die einzige Strategie. Ich habe bei einem Lauf alles gesetzt, was ich hatte, und noch ein bisschen mehr.«
    »Du hast alles auf ein Pferd gesetzt?«
    »Auf zwei. Eine Quinella. Dabei sucht man sich die zwei Pferde aus, die die ersten Plätze belegen sollen, egal welches der beiden gewinnt.«
    »Und du hast dir Geld von den Triaden geliehen?«
    Zum ersten Mal entdeckte sie Überraschung in Harrys Blick.
    »Was bringt ein seriöses chinesisches Verbrecherkartell dazu, Geld an einen opiumrauchenden Ausländer zu verleihen, der nichts zu verlieren hat?«
    »Nun«, sagte Harry und fischte sich eine Zigarette aus dem Päckchen. »Als Ausländer hat man in den ersten drei Wochen nach der Einreise Zugang zur VIP-Lounge der Happy-Valley-Galopprennbahn.« Er zündete die Zigarette an und blies den Rauch zum Deckenventilator, der sich so langsam drehte, dass die Fliegen darauf Karussell fuhren. »Es gibt eine Kleiderordnung, so dass ich mir einen Anzug nähen ließ. Die ersten zwei Wochen reichten aus, um auf den Geschmack zu kommen. Ich lernte Herman Kluit kennen, einen Südafrikaner, der in den Neunzigern in Afrika mit Mineralien ein Vermögen gemacht hat. Er hat mir gezeigt, wie man stilvoll einen Haufen Geld verliert. Das Konzept gefiel mir ganz einfach. Am Abend vor dem Rennen in der dritten Woche war ich bei ihm zum Essen eingeladen, wo er seine Gäste mit einer Vorführung seiner afrikanischen Folterinstrumente aus Goma unterhielt. Dabei habe ich einen Stalltipp von Kluits Chauffeur bekommen. Der Favorit eines Rennens sei verletzt, was geheim gehalten werde, weil er trotzdem starten sollte. Er war ein so klarer Favorit, dass man unmöglich Geld gewinnen konnte, wenn man auf diesen Gaul setzte. Dahingegen sei eine Menge Schotter zu verdienen, wenn man auf alle anderen setzte. Zum Beispiel mit einer Quinella. Aber man bräuchte natürlich ein gewisses Kapital, damit es sich lohnte. Kluit hat mir dank meines ehrlichen Gesichts und meines maßgeschneiderten Anzugs einen Kredit gewährt.« Harry starrte in die Glut der Zigarette und schien bei dem Gedanken zu lächeln.
    »Und?«, fragte Kaja.
    »Der Favorit gewann mit sechs Längen Vorsprung.« Harry zuckte mit den Schultern. »Als ich Kluit erklärte, dass ich vollkommen pleite wäre, sah er mich mit aufrichtigem Bedauern an und erklärte mir höflich, dass er sich als Geschäftsmann an seine Handelsprinzipien halten müsse. Er versicherte mir, dass diese Prinzipien keine Folterinstrumente aus dem Kongo einschlossen, sondern lediglich besagten, dass er meine Schulden mit Rabatt an die Triaden verkaufte. Was nicht viel besser sei, wie er selbst einräumte. Er wollte in meinem Fall aber 36 Stunden damit warten, damit ich eine Chance hätte, Hongkong zu verlassen.«
    »Aber das hast du nicht gemacht?«
    »Ich bin manchmal etwas schwer von Begriff.«
    »Und danach?«
    Harry breitete die Arme aus. »Das hier. Chungking.«
    »Und deine Zukunftspläne?«
    Harry grinste schief und summte: »No fu-ture, no fu-ture.«
    »Wie bitte?«
    »Sorry, du bist wohl etwas zu jung für die Sex Pistols.«
    »Dann klär mich auf.«
    »Nein.« Er drückte seine Zigarette aus. »Du weißt jetzt, was du wissen musst, Kaja Solness.«
    »Wissen muss?« Sie runzelte die Stirn. »Das versteh ich nicht.«
    »Nein?« Er stand auf. »Glaubst du, ich erzähl dir was über Opiummissbrauch und Schulden, weil ich ein einsamer Norweger bin, der eine Landsmännin getroffen hat?«
    Sie antwortete nicht.
    »Ich habe dir das alles erzählt, damit du endlich kapierst, dass ich nicht der Mann bin, den ihr braucht. Damit du nach Hause fahren kannst, ohne das Gefühl zu haben, deinen Job nicht
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