Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
ordentlich erledigt zu haben. Und damit du nicht in irgendwelchen Treppenhäusern in Schwierigkeiten gerätst und ich in Ruhe schlafen kann und mir keine Sorgen machen muss, dass du mir die Geldeintreiber auf den Hals hetzt.«
    Sie sah ihn an. Die asketische Strenge, die er ausstrahlte, stand im Widerspruch zu dem Humor, der in seinen Augen aufblitzte und einem zuzuraunen schien, dass man nicht alles wörtlich nehmen durfte, was er sagte. Oder dass ihm wirklich alles scheißegal war.
    »Warte!« Kaja öffnete ihre Tasche, nahm das kleine rote Büchlein heraus und reichte es ihm, wobei sie ihn genau beob achtete. Erstaunen machte sich auf seinem Gesicht breit, als er durch die Seiten blätterte.
    »He, verdammt, das sieht doch tatsächlich nach meinem Originalpass aus.«
    »Das ist er.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass das Dezernat ein Budget für so etwas hat.«
    »Deine Schulden sind im Kurs gesunken«, log sie. »Ich habe Rabatt bekommen.«
    »Das hoffe ich für dich, denn ich habe wirklich nicht vor, mit zurück nach Oslo zu kommen.«
    Kaja sah ihn lange an. Ihr graute davor. Aber sie hatte keine andere Wahl. Sie musste ihren letzten Trumpf ausspielen. Gunnar Hagen hatte ihr geraten, damit bis ganz zum Schluss zu warten, falls der Starrkopf sich von seiner sturen Seite zeigte.
    »Da ist noch etwas«, sagte Kaja und nahm alle Kraft zusammen.
    Eine Augenbraue von Harry hob sich, vielleicht war ihrem Tonfall schon etwas anzuhören.
    »Es geht um deinen Vater, Harry.« Sie hörte, dass sie wie automatisch seinen Vornamen einfügte. Weil es ehrlich gemeint war und nicht bloß des Effektes wegen, redete sie sich selbst ein.
    »Meinen Vater?« Es klang, als überraschte es ihn, überhaupt einen Vater zu haben.
    »Ja, wir haben uns mit ihm in Verbindung gesetzt, er hätte ja wissen können, wo du bist, und dabei hat sich herausgestellt, dass er sehr krank ist.«
    Sie starrte auf die Tischplatte.
    Hörte ihn atmen. »Sehr krank?« Seine Stimme klang belegt.
    »Ja. Und es tut mir leid, dass du das von mir erfahren musst.«
    Sie wagte es noch immer nicht, den Blick zu heben. Lauschte dem Schnattern des kantonesischen Fernsehsenders hinter Li Yuans Tresen. Schluckte und wartete. Sie musste endlich schlafen.
    »Wann geht der Flug?«
    »Um acht«, sagte sie. »Ich hole dich in drei Stunden unten vor dem Eingang ab.«
    »Nein, ich komm direkt zum Flughafen, ich hab hier noch ein paar Sachen zu erledigen.«
    Er streckte ihr die offene Hand entgegen. Sie sah ihn fragend an. »Dafür brauche ich den Pass. Und du solltest was essen. Damit du ein bisschen Fleisch auf die Rippen kriegst.«
    Sie zögerte. Dann reichte sie ihm den Pass und das Flugticket.
    »Ich vertraue dir«, sagte sie.
    Er sah sie ausdruckslos an.
    Dann war er verschwunden.
     
    Die Uhr über Gate C4 des Chek-Lap-Kok-Flughafens zeigte Viertel vor acht. Kaja hatte die Hoffnung aufgegeben. Selbstverständlich würde er nicht kommen. Es war ein natürlicher Reflex von Tieren und Menschen, sich zu verstecken, wenn sie verletzt waren, und Harry Hole war definitiv verletzt. Die Akten zum Schneemann-Fall gaben detailliert Auskunft über all die Morde an den Frauen. Doch damit nicht genug, Gunnar Hagen hatte ihr auch das erzählt, was nicht in den Akten stand. Nämlich wie Harry Holes Exlebensgefährtin Rakel und ihr Sohn Oleg in die Fänge des verrückten Mörders geraten waren und dass sie und ihr Sohn nach Abschluss des Falls sofort das Land verlassen hatten. Harry hatte Hagen daraufhin seine Kündigung auf den Tisch geknallt und war einfach gegangen. Seine Verletzungen waren schlimmer, als sie angenommen hatte.
    Kaja hatte ihre Bordkarte vorgezeigt und war auf dem Weg zur Gangway. Sie dachte darüber nach, wie sie den Bericht über den missglückten Auftrag formulieren sollte, als sie ihn in dem schräg durch die Fenster fallenden Sonnenlicht durch das Terminal joggen sah. Er trug eine einfache Tasche über der Schulter, hatte eine Taxfree-Tüte in der Hand und sog frenetisch an einer Zigarette. Am Schalter blieb er stehen. Aber statt dem wartenden Personal seinen Pass zu geben, stellte er die Tasche ab und warf Kaja einen resignierten Blick zu.
    Sie ging zurück zum Schalter.
    »Probleme?«, fragte sie.
    »Sorry«, sagte er. »Ich kann nicht mitkommen.«
    »Warum nicht?«
    Er zeigte auf die Taxfree-Tüte. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich nur eine Stange Zigaretten nach Norwegen ausführen darf, ich habe aber zwei. Also, wenn du nicht …« Er verzog keine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher