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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch
Autoren: Lena Muchina
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anders überlegt, das ist überflüssig, unnötig, besser, ich sehe ihn den ganzen Sommer nicht. Und im Herbst, wenn wir uns wiedersehen, werde ich ihn wie einen alten Bekannten begrüßen und ihm damit noch näher kommen. Bevor unsere Wege sich für den Sommer trennen, muss ich ihn unbedingt bitten, eine Großaufnahme von sich machen zu lassen, und im Herbst werde ich ihn, sobald wir uns wiedersehen, bitten, noch eine zu machen, das wird für ihn und für mich interessant sein, ist doch interessant, wie er sich während eines ganzen Sommers verändert. Außerdem hätte ich gerne noch ein Bild von Dimka, das hat er mir auch versprochen, und eines von Mischa Iljaschew, außerdem eins von Emma, Ljusja Iwanowa, Tamara Artemjewa und Beba, aber an diese Bilder heranzukommen ist schwieriger.
    Morgen habe ich Geometrie. Und dann bleiben nur noch zwei Prüfungen. Anatomie und Physik. Vor Anatomie habe ich keine Angst, aber vor Physik habe ich große Angst. Für Physik habe ich nur zwei Tage. Das ist sehr wenig. Was auch schlecht ist: Zu Physik muss unsere Gruppe schon um neun Uhr früh da sein. Der Physiklehrer ist dann noch ausgeruht und sehr anspruchsvoll. Die zweite Gruppe hat es da besser. Er ist dann schon müde und döst vor sich hin. Da ist es einfach zu antworten.
    Übrigens ist Wowka ein lieber Junge, wahrhaftig, ein lieber. Wenn er doch nur Klassensprecher der neunten Klasse wäre. Aber nein, das sind nur Träume. Er will jetzt wahrscheinlich nicht einmal daran denken. Na ja, muss er selber wissen.
    Wo ich mich wie ein Fisch im Wasser fühle: In Wowkas Familie, immer, wenn ich bei ihnen gewesen bin, fühle ich mich so wach, so gut, und der Lebensfluss kommt mir vor wie ein Bächlein, das mir nur bis zu den Knien geht.
    Als die Algebrakonsultation vorüber war, haben sich die Klassenkameraden um Wera Nikititschna versammelt. Wowa und die anderen Jungen standen am Fenster. Ich ging zur Tafel, lehnte mich an sie und rief Wowka, er drehte sich sofort um und kam zu mir, mit ihm auch Ljonja.
    »Hast du Algebraaufgaben gelöst?«
    »Nein, habe ich nicht, hab keine Lust.«
    »Hör mal, lass uns ein paar lösen.«
    »Ach Lena, ich habe so gar keine Lust.«
    »Weißt du, Wowa«, sage ich, während ich die Tafel mit Kreide beschmiere, »ich habe völlig vergessen, wie man manche Aufgaben löst. Ich könnte morgen deswegen durchfallen.«
    »Ach was, morgen bekommen wir bestimmt leichte Prüfungsaufgaben.«
    »Nun wenn schon. Ich komme gleich mit zu dir. In Ordnung?«
    Er nickte: »Ljonka, komm mit. Ich beherrsche diese künstlichen Methoden nicht. Wollen wir ein paar Aufgaben lösen?«
    »Nein, Wowka, ich kann jetzt gar nicht ...«
    Die Jungs verließen die Schule gemeinsam. Ich ging neben Wowa und dann neben Janja. Ich sage: »Wowka, warum hast du so schlecht in Deutsch geantwortet?« Wowa hat nichts geantwortet. Janja an seiner Stelle: »Er hat doch gar nicht schlecht geantwortet. Er hat doch ein ›gut‹ bekommen.«
    »Es geht doch nicht um die Note, er hat nicht beson­ders gut geantwortet.«
    »Hast du denn gut geantwortet?«
    »Das ist eine andere Frage. Ich spreche ja nicht von mir, sondern von Wowka.«
    »Lenotschka, so würdest du nicht reden, wenn du ihn vor den Prüfungen erlebt hättest. Da war Wowka ein sterbender Hamlet.«

    Bin gerade im kleinen Park gewesen. Unterwegs habe ich Gena Nikolajew getroffen. Wir haben uns Hallo gesagt. Ein wenig miteinander geplaudert. Aber ich war wie immer eine dumme Pute und bin auch eine geblieben. Ich hätte ihn so vieles fragen können. Stattdessen habe ich, dumme Pute, nur zwei, drei Worte mit ihm gewechselt und dann gleich: Auf Wiedersehen. Und er hat breit gelächelt und gefragt: »Und so insgesamt, wie geht es dir? Wie sind die Noten?«
    Und ich dumme Pute habe ganz schnell eine Antwort heruntergerasselt. Zum Abschied habe ich ihm nicht einmal die Hand gegeben, bin im Laufschritt davon und habe mich nicht einmal umgedreht. Er aber hat sich wahrscheinlich umgedreht und sich gedacht: »Wie komisch sie ist.« Was für eine dumme Pute ich bin, einfach idiotisch. Da treffe ich Gena und kann kein nettes Gespräch führen. Also, wenn ich ihn noch einmal irgendwo treffe, werde ich mich für meine Verlegenheit entschuldigen und ihn nach seinem Leben, nach seinen Plänen für den Sommer fragen. Ich könnte ihn so viel fragen. Und ihn endlich um sein Foto bitten.
    31. Mai
    Heute ist der letzte Maitag. Morgen ist schon Juni – Sommer. Habe Geometrie mit »gut« bestanden. Ich habe
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