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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin
Autoren: Gunna Wendt
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Mann« ein geheimnisvolles buntes Päckchen kaufen, das eine Überraschung enthalten sollte. Zu Hause rief sie alle Bewohner zusammen und öffnete das »in hochrotes Glanzpapier« gewickelte Päckchen. Es enthielt eine Kette aus blauen Glasperlen, ein Bild und kleine Süßigkeiten. Lena war begeistert von der Wundertüte, lobte und umarmte den klugen Großvater, der den Inhalt des Päckchens erahnt haben musste.
    Jede Erlebnisschilderung aus ihrer Kindheit im Hansschusterhaus kommt einer Liebeserklärung gleich. Es gelingt Lena Christ, die ungeschützte Neugier und Offenheit, mit der das fünfjährige Kind in die Welt geblickt hat, darzustellen. Nur ganz selten kommentiert sie die Handlung, wie im Fall der Erziehung des Großvaters, die sie umsichtig und klug nennt. Er habe von ihr nie Wohlverhalten verlangt – weder nachträglich, weil sie ein Geschenk erhalten hatte, noch vorsorglich, um eins zu bekommen. Er gab es ihr einfach und damit noch sehr viel mehr: Er vermittelte ihr das Gefühl, geliebt zu werden – um ihrer selbst willen. Sie, die Hansschusterleni, war ein liebenswerter und wertvoller Mensch – wenn der Großvater das sagte, musste es stimmen, denn er war ein kluger und erfahrener Mann.
    Peter Jerusalem schildert, wie er mit Lena, kurz nachdem sie von Fürstenfeldbruck nach München gezogen waren, einen Ausflug in ihre Heimat unternahm. Sie fuhren mit dem Zug nach Grafing und gingen zu Fuß über Moosach, Wildenholzen, Westerndorf nach Glonn. Es war der Weg, den Lena fünfundzwanzig Jahre zuvor als kleines Mädchen in umgekehrter Richtung gelaufen war, um ihre Mutter vom Grafinger Bahnhof abzuholen. Damals war es eine vergebliche Anstrengung gewesen, die auf einem Missverständnis beruhte, denn die Mutter reiste erst einige Tage später an. Auf ihrer Wanderung zeigte Lena ihrem Geliebten nun zentrale Orte ihrer Kindheit: das Wirtshaus, in dem sie, erschöpft von dem großen Fußmarsch, aufgenommen wurde; den Hof ihrer Tante in Westerndorf; Schloss Zinneberg, dessen Besitzer Freiherr von Scanzoni mit ihrer Herkunft in Verbindung gebracht wurde. Schließlich erreichten sie das Hansschusterhaus in Glonn. Lena war überwältigt von der Macht der Erinnerungen, die in ihr aufstiegen, und gleichzeitig enttäuscht vom Zustand des Hauses, an dem Umbauten vorgenommen worden waren. Nachdem sie sich als ehemalige Bewohnerin vorgestellt hatte, wurde sie von der Hausbesitzerin hereingelassen und machte die Erfahrung, die für die Rückkehr an einen Ort der Kindheit typisch ist: Alles war viel kleiner als in ihrer Erinnerung. Vor allem das Schlafzimmer, in dem sie und die Großeltern zeitweise mit zwölf Kostkindern geschlafen hatten. Jerusalem war froh, dass sie diesen Ort nicht früher wiedergesehen hatte, denn er wusste: Von diesem Augenblick an würden zwei Bilder parallel in ihrem Bewusstsein präsent sein, das erinnerte aus der Vergangenheit und das gegenwärtige. »Es war wirklich ein Glück, dass sie erst jetzt hierherkam und all das wiedersah, nachdem diese Zeit ihrer Kindheit schon in der Handschrift fertig vorlag«, kommentiert er erleichtert.
    Der nächste Weg führte sie zum Friedhof. Das Grab des Großvaters sah vernachlässigt aus. Vor dem schmiedeeisernen Grabkreuz, auf dem das Todesdatum 5. Dezember 1894 vermerkt war, stand noch ein kleines Holzkreuz, welches darauf hindeutete, dass die Grabstätte bereits anderweitig genutzt wurde. Nichtsdestotrotz versuchte Lena, das Beet etwas herzurichten, und stieß dabei auf Fußknochen. Da sie glaubte, es handle sich um die ihres Großvaters, grub sie die Gebeine wieder sorgfältig ein. Sie wollte ihm die Ruhe zurückgeben, in der er augenscheinlich gestört worden war. Ein bewegendes Bild voller Trauer und Zärtlichkeit, eine letzte Berührung mit dem geliebten Menschen, dem sie ihren Glauben an das Glück verdankte, weil er ihr dieses Lebensgefühl eine Zeit lang geschenkt hatte.
    »Die Großväter sind die Lehrer, die eigentlichen Philosophen jedes Menschen, sie reißen immer den Vorhang auf, den die andern fortwährend zuziehen«, schreibt Thomas Bernhard im letzten Band seiner fünfteiligen Autobiografie, Ein Kind . Er war ein uneheliches Kind, das die Mutter mit dem Satz bedacht hatte: »Du hast mir noch gefehlt!« Weil sie sich nicht in der Lage sah, ihn zu erziehen, überließ sie das dem Großvater. »Er machte mich, früh genug, aber tatsächlich als einziger, darauf aufmerksam, dass der Mensch einen Kopf hat und was das bedeutet«, erklärt Thomas
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