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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin
Autoren: Gunna Wendt
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Bernhard. Der Großvater glaubte an die Intelligenz seines Enkels, auch wenn dessen Schulnoten schlecht waren und die Mutter ihn »Versager« nannte. Aber die Verdienste seines Großvaters gingen noch weit über die Ermutigung zur Verstandestätigkeit hinaus: Er hielt felsenfest zu dem Kind, begegnete auch dessen Fehlverhalten mit Gleichmut, versuchte, ihm Freude zu bereiten, und verschaffte ihm so eine nachhaltige Glückserfahrung. Thomas Bernhard lässt immer wieder anklingen, dass es die frühen Jahre mit seinem Großvater Johannes Freumbichler waren, die ihm die emotionale Stabilität verliehen, die man zum Überleben braucht. Er hat in dieser Zeit Glücksmomente kennengelernt und für sich bewahrt.
    In krassem Gegensatz dazu standen die Konfrontationen mit seiner Mutter, die bei jeder Gelegenheit zum Ochsenziemer griff, der stets auf dem Küchenschrank bereitlag. Wenn der Junge von seiner Mutter kam, ging er mit gesenktem, wenn er von den Großeltern kam, mit erhobenem Kopf durch die Welt. Er versuchte vor allem, seinen Kopf vor ihren Angriffen in Sicherheit zu bringen: »Ich kauerte, nach Hilfe schreiend, im Bewusstsein allerhöchster Theatralik in der Küchen- oder in der Zimmerecke, mit beiden Händen meinen Kopf schützend.« Da die körperlichen Züchtigungen für die Mutter nicht die gewünschte Wirkung zeitigten, änderte sie ihre Taktik und versuchte, ihr ungehorsames Kind mit verbalen Mitteln zu zähmen. Dazu benutzte sie die »fürchterlichsten Sätze«, die jedes Mal seine Seele zutiefst verletzten: »Du bist mein ganzes Unglück, Dich soll der Teufel holen! Du hast mein Leben zerstört! Du bist an allem schuld! Du bist mein Tod!«
    Während Lena Christ ihre Kindheit beinahe ausschließlich aus dem kindlichen Blickwinkel heraus schildert und sich der nachträglichen Einordnung oder Beurteilung enthält, schwingen bei Thomas Bernhard Kommentar, Erklärung und Interpretation mit. Das ist manchmal tröstlich, zum Beispiel wenn er zu wissen glaubt, seiner Mutter sei die verheerende Wirkung ihrer Worte nicht bewusst gewesen, doch »sie wusste, dass sie ein außerordentliches Kind geboren hatte, aber eines mit entsetzlichen Folgen. Diese Folgen konnten nur das Verbrechertum sein.« Es war sein »höllischer Erfindungsreichtum«, den sie besonders fürchtete.
    Mit einem Übermaß an Fantasie war auch Lena Christ ausgestattet. Im Zusammenleben mit den Großeltern fand diese Anerkennung und Nahrung. Das sollte sich im Zusammenleben mit der Mutter drastisch ändern. Und so folgt auf den ersten Satz einer Lausdirndlgeschichte , »Bei meinen Großeltern ist es furchtbar schön gewesen«, sogleich die schlimme Zukunftsperspektive: »Aber ich habe auf einmal nach München müssen zu der Mutter. Da ist es mir nicht mehr gut gegangen, und ich habe viele Prügel gekriegt. Und ich wäre bald tot gewesen. Aber sie haben das Lausdirndl doch nicht ganz totschlagen können.« Schon der Titel der Geschichte lässt Böses ahnen, denn er lautet Das Verbrechen .
    Das Unheil, das von einem Tag auf den anderen über sie hereinbrach, traf Lena völlig unvorbereitet, denn bei ihren Großeltern hatte sie weder körperliche noch psychische Gewalt erfahren. Deren Zusammenleben war von Harmonie und Respekt geprägt. Dafür hat die Autorin eine Erklärung, die zunächst überrascht: Sie führt die gegenseitige Achtung auf die sogenannte Josefsehe zurück, welche die beiden als Schwager und Schwägerin angeblich miteinander eingegangen waren – eine der seltenen Passagen der Erinnerungen einer Überflüssigen , in denen ein nachträglicher Kommentar einfließt. Ob es sich bei der Verbindung tatsächlich um eine Ehe ohne Sexualität gehandelt hat, lässt sich nicht nachvollziehen.
    Offensichtlich bildeten Sexualität und Respekt für Lena Christ einen Widerspruch – eine Folge ihrer eigenen Erfahrungen: Als sie das Buch schrieb, hatte sie ihre erste Ehe hinter sich, die für sie in sexueller Hinsicht alles andere als beglückend war. Es ist heute nicht mehr zu klären, ob ihr Ehemann sie tatsächlich vergewaltigt hat, wie sie es in den Erinnerungen schildert, entscheidend ist, dass sie den Liebesakt so empfunden hat: als Gewalttat und Übergriff. Eine zärtliche oder liebevolle erotische Umarmung des Ehepaars kommt an keiner Stelle vor. Nicht einmal in der Hochzeitsnacht, in der sie aus dem Schlaf gerissen wurde und etwas geschah, was aus dem »frischen, sorglosen Mädchen« eine Frau mit einem »müden, fremden Gesicht« werden ließ.
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