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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift
Autoren: Greg Iles
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über Wasser zu halten, während sie selbst ertrank.
    Ihr Mund war voll Wasser, als sie eine Männerstimme Befehle rufen hörte. Kaiser? Sie hob Jamies Kopf höher, während sie versuchte, mit gefühllosen Beinen Wasser zu treten. Dann wurde sie von einem starken Arm gepackt und zusammen mit Jamie zum Ufer gezogen. Jemand nahm ihr den Jungen ab. Halb bewusstlos bekam sie mit, wie jemand eine Herzmassage durchführte. Dann berührte eine wunderbar warme Hand ihr Gesicht, und sie öffnete die Augen. John Kaiser kniete über ihr und schaute sie besorgt an.
    »Können Sie mich hören, Alex?«
    Sie nickte.
    »Ist sonst noch jemand in dem Boot?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Jamie!«, stieß sie hervor. »Lebt er?«
    Wie als Antwort hörte sie, wie neben ihr ein Kind würgend hustete und dann leise zu weinen anfing.
    »Setzen Sie das Boot fest!«, befahl Kaiser seinen Scharfschützen und sprang auf. »Schießen Sie auf den Motor!«
    »Nein!«, rief Alex, als ihr die abgezogene Treibstoffleitung einfiel. Nach den aufbrüllenden Motoren zu urteilen, hatte Tarver sie wieder aufgesteckt.
    Alex’ Schrei wurde übertönt vom scharfen Knallen eines Gewehrschusses.
    Sie stemmte sich auf die Ellbogen und versuchte erneut zu schreien. »Nein … die Benzinleitung …«
    »Was?«, rief Kaiser und kam zu ihr zurück.
    In diesem Moment feuerte der Scharfschütze erneut, und das Heck des Carrera verschwand in einer Stichflamme. Eine Gestalt hetzte zum Dollbord, doch bevor sie ins Wasser springen konnte, flog das Boot in die Luft.
    Alex fiel in den Schlamm zurück. Regen prasselte ihr ins Gesicht. Sie versuchte Kaiser zu erklären, dass er die Pelicans bergen musste, doch ihre Stimme ging unter im Gequäke von Funkgeräten, Kaisers gebrüllten Befehlen und lauten Schreien, dass ein Mann im Wasser treibe. Der Pilot des fremden Helikopters? Nichts von alledem spielte jetzt noch eine Rolle. Alex rollte sich auf die Seite und sah Jamie neben sich liegen. Der Junge starrte sie aus weiten Augen an – doch es war Grace, die aus diesen Augen blickte, und ihre Verzweiflung war vergangen. Als Jamie eine zitternde Hand nach Alex ausstreckte, zog sie ihn an sich und drückte sein Gesicht an ihre Brust.
    Sie hatte ihr Versprechen gehalten.

Epilog
    Zwei Wochen später
     
    Alex verringerte die Geschwindigkeit und bat Jamie, nach einem Schotterweg Ausschau zu halten, der nach links abzweigte. Sie fuhren über eine verlassene Straße durch einen schier endlosen Tunnel aus Eichen.
    »Bist du sicher?«, fragte Jamie.
    »Ich glaub schon. Es ist noch nicht lange her, dass ich das letzte Mal hier gewesen bin. Ich habe mit ihm auf der großen Brücke gestanden, über die wir eben gefahren sind.«
    Jamie öffnete seinen Sicherheitsgurt, kniete sich auf den Sitz und legte den Ellbogen auf das Terrakotta-Gefäß zwischen sich und seiner Tante.
    »Vorsichtig!«, ermahnte ihn Alex.
    »Entschuldige.« Jamie beugte sich vor und presste die Stirn gegen die Windschutzscheibe. »Ich glaube, ich kann es sehen. Ist das eine Straße?«
    »Ist es, Adlerauge.«
    Jamie starrte nervös durch die schmale Lücke zwischen den Bäumen. »Mann, ist das dunkel da drin!«
    Alex hielt vor der Abzweigung; dann bog sie nach links auf den ausgefahrenen Weg ein. »Chris hat erzählt, dass auf dieser Straße Verbrecher den Reisenden aufgelauert haben.«
    »Wann?«, fragte Jamie. »Früher? Oder heute?«
    Der Wagen wankte so sehr, dass Jamie mit dem Kopf gegen den Himmel stieß. »Autsch!«
    »Tut mir leid«, sagte Alex. »Vor zweihundert Jahren.«
    »Aha.« Jamie hatte jegliches Interesse verloren.
    Beinahe bedauerte Alex, hergekommen zu sein. Die ausgefahrene Straße war ohne Allradantrieb nahezu unpassierbar. Nach fünfzig Metern musste sie aufgeben und den Wagen stehen lassen. Sie wusste nicht, wie sie je wieder zum Natchez Trace zurückkommen sollte.
    »Los«, sagte sie. »Von hier aus gehen wir zu Fuß.«
    Jamie sah sie überrascht an, stieg jedoch aus. Alex nahm das Terrakotta-Gefäß vom Sitz, schloss die Wagentür ab und ging voran. Bald wich der Kies mehr und mehr hellem Sand. Die Luft war stickig und schwül, und Pferdebremsen schwirrten um ihre Gesichter.
    »Das ist doch Quatsch«, sagte Jamie unvermittelt. »Ich glaub nicht, dass da unten jemand ist.«
    »Hab Vertrauen. Du bist ein zäher Junge.«
    Sie ging ein paar Meter weiter, blieb stehen und lauschte. »Hörst du das?«
    Jamie verharrte ebenfalls. »Was ist das für ein Geräusch?«
    Alex lächelte. »Wasser.«
    Sie
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