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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift
Autoren: Greg Iles
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rückwärts auf das Deck. Die Wucht des Propellers hatte ihr die eigenen Hände ins Gesicht geschleudert und sie rücklings zu Boden geworfen. Als sie auf ihre blutigen Handgelenke schaute, war nur noch ein kleiner Fetzen Gewebeband intakt. Sie riss die Arme auseinander, sprang auf und schob den sich immer noch drehenden Propeller ins Wasser.
    Das Speedboat nahm nur langsam Fahrt auf. Alex sprang hinters Steuer und richtete den Bug auf die Stelle aus, wo sie Jamie zuletzt gesehen hatte. Ihre linke Hand war blutüberströmt, denn der Propeller hatte ihr einen tiefen Schnitt ins Gelenk zugefügt, hatte Adern zerfetzt und einen leuchtend weißen Handgelenksknochen freigelegt. Alex zwang sich, nicht hinzusehen. Es war ihr gleichgültig, wie viel Blut sie verlor, solange ihr noch genügend Kraft blieb, um Jamie aus dem Wasser zu ziehen, sobald sie ihn erreicht hatte.
    Voraus und ein Stück zu ihrer Rechten schwebte der graue Helikopter dicht über der Wasseroberfläche. Tarver saß auf der linken Kufe und versuchte verzweifelt, den gelben Koffer aus den Wellen zu bergen. Alex hatte unterdessen die Stelle erreicht, wo sie Jamie ins Wasser hatte fallen sehen, doch der Junge war verschwunden. Zwanzig Meter entfernt wuchtete Tarver nun den gelben Koffer in den Bauch des Hubschraubers. In diesem Moment schlug eine hohe Welle durch die Luke ins Innere. Der Hubschrauber sackte ein Stück tiefer, und auch die nächste Welle schwappte in die Maschine. Der Pilot geriet in Panik, denn er schwenkte die Rotoren nach rechts und spülte das Wasser wieder nach draußen, ehe er zwei Meter höher stieg. Dieses Manöver führte dazu, dass Tarver von der Kufe abglitt und in den See fiel.
    Der Pilot ließ die Maschine weitere drei Meter steigen und verharrte dort, als wäre er unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Er hatte Tarvers Rucksack und seine Koffer. Brauchte er den Wissenschaftler ebenfalls?
    Allem Anschein nach ja.
    Während Alex auf der Suche nach Jamie langsame Kreise fuhr, sank der Hubschrauber wieder dicht über die Wasseroberfläche – tief genug, dass Tarver auf die Kufe und von dort ins Innere klettern konnte.
    Diesmal kippte der Pilot die Nase nach vorn, und der Helikopter stieg hoch in die Luft. Fünfzehn Meter. Dreißig Meter. Noch höher. Alex suchte erneut nach Jamie, als das Krachen eines Gewehrschusses über das Wasser hallte. Ein zweiter Schuss, ein dritter … fünf Schüsse. Das Echo einer Explosion wurde vom Ufer hinter Alex zurückgeworfen. Der Helikopter war hoch genug gestiegen, um Kaisers Scharfschützen ein deutliches Ziel zu bieten! Alex sah nur kurz nach oben, doch es genügte, um zu sehen, dass die Maschine dem See entgegenstürzte. Schwarzer Rauch drang aus der Turbine.
    Aus Angst, der Hubschrauber könnte auf sie stürzen, steuerte Alex zur Seite. Im letzten Moment stellte der Pilot die Rotoren an, und die Maschine prallte keine fünfundzwanzig Meter von Alex entfernt auf die Wellen.
    Alex lenkte das Boot in immer weiteren Kreisen, während sie mühsam ihre Angst um Jamie im Zaum zu halten versuchte. Welchen Teil von ihm würde sie zuerst finden? Einen wirren Schopf rötlicher Haare? Einen silbernen Tennisschuh?
    »Jamie!«, rief sie und erkannte erstaunt, dass sie bis jetzt noch gar nicht auf die Idee gekommen war, seinen Namen zu rufen. Vielleicht stehe ich unter Schock, dachte sie und starrte auf die immer größere Blutlache um ihre Füße. »Jamie! Ich bin’s, Tante Alex!«
    Nichts.
    Der Flautenschieber bewegte das Boot schrecklich langsam voran. Alex warf einen hastigen Blick nach rechts: Tarvers Helikopter war bereits bis zum Turbinengehäuse versunken.
    »Jamie!«, rief sie verzweifelt. »Antworte, wenn du mich hörst!«
    »Hier!«, rief eine schwache Stimme. »Hier drüben!«
    Das war nicht Jamie. Es war entweder Tarver oder sein Pilot. Dann sah Alex den kahlen Kopf Tarvers mit überraschender Geschwindigkeit durch die Wellen gleiten. Er verschwand hinter einer Woge, dann rief er erneut.
    »Ich hab ihn, Alex! Er ist hier drüben. Jamie ist hier bei uns! Helfen Sie uns!«
    Alex wusste, dass es wahrscheinlich ein Trick war und dass Tarver möglicherweise immer noch eine Pistole besaß, doch sie musste sicher sein, dass er Jamie nicht doch gefunden hatte. Sie duckte sich hinter das Dollbord und kurbelte schwerfällig das vom Blut glitschige Steuer, bis das Carrera einen weiten Bogen fuhr, der sie näher an Tarver heranbringen würde.
    Sekunden später stockte ihr das Herz. Jamie trieb mit dem
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