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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Herz inmitten anderer Organe in einer Mülltonne in der Stumpergasse gefunden.“
    „Und dieses Märchen glauben Sie?“
    „Das ist kein Märchen. Wir haben die besagte Mülltonne untersucht. Leider wurde sie bereits geleert, sodass wir keine weiteren Organe mehr sicherstellen konnten. Aber wir fanden Blut, das eindeutig von Stefan Andergast stammt.“
    „Und der alte Mann ist ganz sicher nicht der Mörder?“
    „Nein, er hat ein Alibi.“
    „Was ist mit dem Einwickelpapier für Hamburger? Hat das irgendeine Bedeutung?“
    „Nein. Eugen Heißenbüttel hielt das einfach für ein witziges Detail.“
    „Und sonst?“
    „Was meinen Sie?“
    „Gibt’s irgendwelche neuen Spuren oder Erkenntnisse, wer Stefan Andergast umgebracht haben könnte?“
    „Wir hören uns im Moment in der Homosexuellenszene um. Diese Leute sind ja weiß Gott zu allem fähig. Aber ich mache mir ehrlich gesagt keine allzu große Hoffnungen, dass wir dort auf eine hilfreiche Spur stoßen.“
    „Das klingt, als würden Sie aufgeben.“
    „Polizeiliche Ermittlungen verlaufen nicht wie im Fernsehen“, sagte Wachtelgruber. „Es gibt Fälle, die klärt man trotz aller Anstrengungen nie.“
    Ohne dass Wachtelgruber es aussprach, hatte ich den Eindruck, der Mord an Stefan Andergast gehörte für ihn zu diesen Fällen. Ich legte auf, ohne mich zu bedanken oder mich zu verabschieden.
    Mein Kopf rauchte. Je mehr Details ich kannte, desto unschärfer wurde das Gesamtbild.
    Ich schrieb das Steinkopf-Interview wie in Trance zu Ende, gab es bei Frau Eisenhut ab und tigerte dann unruhig durch die Redaktion.
    Ein Blick auf die Uhr: kurz nach eins. Ich hatte noch rund drei Stunden Zeit bis zu meinem Treffen mit Eugen Heißenbüttel. Zeit genug, um einen letzten Versuch zu unternehmen, Antworten auf meine Fragen zu finden. Und mir fiel nur noch ein Ort ein, an dem ich suchen konnte.
    Stefans Wohnung.
    Ich bestellte ein Taxi, fuhr in die Stumpergasse, stieg in den zweiten Stock hinauf und sperrte die Wohnungstür mit dem Schlüssel auf, den ich bei meinem letzten Besuch mitgehen hatte lassen.
    Als Erstes untersuchte ich alle Blumentöpfe.
    Kein Zigarillostummel. Es gab nicht mal Vertiefungen in der Erde.
    Nichts anderes hatte ich erwartet.
    Ich zog meinen Mantel aus, hängte ihn über eine Stuhllehne und durchstreifte ohne konkreten Plan die Wohnung. Ich sah mich im Schlafzimmer um, durchstöberte die Küche und öffnete ein paar Kästen im Bad.
    Nichts.
    Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, fiel mein Blick auf das gerahmte Plakat der Schwulendemo. Ich betrachtete es ein paar Sekunden lang nachdenklich, dann nahm ich es von der Wand, löste den Kartondeckel auf der Rückseite und fand einen Brief.
    Ich setzte mich an den Küchentisch und las ihn sorgfältig, Zeile für Zeile. Es war ein Liebesbrief an Stefan, ganz offensichtlich geschrieben von einem älteren Mann. Höchstwahrscheinlich von eben jenem Mann, von dem Stefan mir im
Nachtasyl
erzählt hatte. Dem Mann, der die Beziehung mit ihm beenden und alle Spuren davon beseitigen wollte.
    Ich schaute mir die letzte Zeile des Briefes genauer an. Was war das? Ein E? Oder bloß ein Krakel? Schwer zu sagen.
    Eines jedoch war klar: Der Brief war mit Füller geschrieben worden. Ich holte den Zettel, auf den Steinkopf die Nummer des Arztes notiert hatte, aus meinem Mantel und legte ihn neben den Brief.
    War es dieselbe Handschrift?
    Nun, eine gewisse Ähnlichkeit bestand, aber mit absoluter Sicherheit konnte das wohl nur ein Experte feststellen. Eine Gemeinsamkeit zwischen Zettel und Brief war allerdings offensichtlich: Beide waren mit grüner Tinte geschrieben.
    Ich ging zum Telefon, stellte zu meiner Freude fest, dass es nicht abgeschaltet war, rief in der Redaktion an und bekam Frau Eisenhut an den Apparat.
    „Haben wir Unterlagen über Steinkopf, den Politiker?“, fragte ich.
    „Wir haben Unterlagen über so ziemlich jeden“, sagte Frau Eisenhut kühl.
    „Könnten Sie für mich etwas nachschauen?“
    „Was denn?“
    „Nun, Steinkopf heißt mit Vornamen Hans. Ich würde gerne wissen, ob er noch einen zweiten Vornamen hat.“
    „Dafür muss ich keine Unterlagen konsultieren“, sagte Frau Eisenhut. „Er hat einen zweiten Vornamen. Erich.“
    Ich legte auf. Jetzt gab es für mich keinen Zweifel mehr, was passiert war. Steinkopf hatte ein Verhältnis mit Stefan gehabt und wollte es beenden, vermutlich aus Angst, dass es bekannt werden könnte, mitten im Wahlkampf, zum ungünstigsten Zeitpunkt. Dann hatte
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