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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Platz eins. Einhundertvierundachtzigtausend Punkte. Ist das nicht fabelhaft?“
    „Das ist fantastisch, Boss“, heuchelte ich und schüttelte seine Hand wie einen Apfelbaum. Leider fiel nichts Genießbares von ihm runter. „Jetzt muss ich aber los.“
    Ich durchquerte die Redaktion Richtung Ausgang und stolperte beinahe über Glitterfreddy, der neben dem Kopierraum herumlungerte und nicht einmal vorgab, beschäftigt zu sein. Er war so braungebrannt, dass er als Komparse in einem Sandalenfilm hätte mitwirken können.
    „Bist du im Solarium eingeschlafen?“, fragte ich.
    „Witzig wie immer, Laurenz.“ Glitterfreddy streckte sich übertrieben, gähnte ausgiebig und sagte: „Ich komm grad von den Malediven.“
    „Ich wusste gar nicht, dass dein Urlaub schon fällig war.“
    „Das war auch kein Urlaub. Jedenfalls nicht offiziell. Offiziell war ich dort im Auftrag von
Voll Dran!
, um eine Fotoreportage über die hiesigen Muscheltaucher zu machen.“
    „Ich wette, du hast dich vor allem für die Muschis der Muscheltaucherinnen interessiert.“
    Er zwinkerte mir anzüglich zu und sagte: „Der Strand und die Drinks waren auch nicht übel.“
    „Und damit
du
diese Reportage über die Muscheltaucher der Malediven schreiben konntest, musste
ich
mich um diese abgeschlachteten Viecher kümmern?“
    „Tja, Laurenz, so läuft das“, sagte Glitterfreddy. „Ich arbeite eben schon länger hier als du.“ Er warf einen Blick auf seine protzige Armbanduhr. „Hast du nicht ein Interview mit Steinkopf? Ich an deiner Stelle würde ihn nicht warten lassen.“
    „Hast du gelauscht?“
    „Ein guter Reporter hört alles.“
    „Dann müsstest du taub sein“, sagte ich.
    Glitterfreddy schwieg und grinste mich dümmlich an. Ich hätte ihm am liebsten eine in seine Fresse geknallt, aber ich vermutete, dass meine Versicherung nicht für die Schäden aufkommen würde, also zeigte ich ihm stattdessen den Mittelfinger und verließ die Redaktion.
    Unten auf der Straße schlug ich den Mantelkragen hoch, steckte mir eine Zigarette in den Mund und meine Hände in die Hosentaschen und trabte los.
    In den Straßen befand sich ein Gemisch aus Pensionisten, die die Wahrzeichen ihrer schönen Heimatstadt zum achthundertelften Mal bewunderten, Hausfrauen, die sich mit ihren grellbunten Einkaufstaschen abmühten, und Touristen, die planlos die Gegend abfotografierten. Manche der Touristen hielten Videokameras, klein wie eine Packung Zigaretten, und bannten alles, was ihnen vor die Linse kam, auf schicke kleine Kassetten. Ich fragte mich, weshalb sich diese Leute nicht einfach in Tokio, Mailand oder von wo auch immer sie herkamen einen Videofilm über Wien kauften und ihn sich zu Hause anschauten.
    Schließlich gelangte ich zum Dr.-Karl-Lueger-Ring. Ich überquerte ihn und ging hinüber zum Rathaus. Die Stadtplaner hatten schon gewusst, wieso sie das Burgtheater und das Rathaus einander genau gegenüber liegend gebaut hatten. In einem der beiden Häuser fand immer eine Vorstellung statt, und so war stets für Unterhaltung in der Stadt gesorgt.
    Ich meldete mich beim Pförtner an, der mich ausführlich musterte und dann meinen Namen, meinen Beruf, mein Geburtsdatum, die Farbe meiner Socken und meine bevorzugten Sexualpraktiken notierte, ehe er mich nach oben ließ.
    Ich betrat das Vorzimmer von Steinkopfs Büro und wurde von seiner ganz privaten Privatsekretärin, die so reserviert wirkte wie ein Zweipersonentisch in einem Fünfsternerestaurant an einem Samstagabend, gefragt, ob ich einen Termin hätte. Ich nickte, nannte ihr meinen Namen und wurde schließlich in Steinkopfs geheiligtes Refugium eingelassen.
    Der Raum, den ich betrat, war so hoch, dass die Elektriker, die die Deckenlampen angebracht hatten, vermutlich Sauerstoffmasken tragen mussten, der Boden war mit einem weichen Teppich ausgelegt, der jeden Schritt bis zur Unhörbarkeit dämpfte, und an den Wänden hingen die üblichen Protzbilder, wie sie ein Innenausstatter mit zu viel Budget und zu wenig Kunstsinn aussuchen würde. Ganz hinten, am Horizont, beinahe von einem Dunstschleier verborgen, konnte ich Steinkopfs Schreibtisch ausmachen.
    „Treten Sie näher, Herr Breitmaier, nur nicht so schüchtern“, dröhnte Steinkopfs Stimme zu mir herüber. „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“
    Ich marschierte in Richtung Schreibtisch, und schließlich stand ich Steinkopf von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er war ein massiger Mann um die sechzig mit der Ausstrahlung eines
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