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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman
Autoren: Random House
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zurück, wie ich in meinem kleinen Büchlein sah, in dem ich alle Telefonate genau vermerkte und registrierte. Bei der Lektüre meiner peniblen Notizen verspürte ich denn auch einen schalen Nachgeschmack, Verbitterung über die Zurückweisung machte sich breit. Mein Leben, meine Sorgen, meine Ängste, meine Krankheiten und Leiden berührten niemanden.
    Wut staute sich in mir auf. Manchmal stieg ich freudlos in meinen tollen Wagen, den ich mir nur mehr schwer leisten konnte. Ich verkaufte ihn nicht, weil mich die Tatsache maßlos ärgerte, dass der Jaguar in der kurzen Zeitspanne seit der Anschaffung enorm an Wert verloren hatte. So nutzte ich den Luxusschlitten, wenn ich durch den dichten Verkehr ganz allein ins nächste Kino fuhr. Steckte ich im Stau, dann dachte ich daran, dass man sich in meiner Kindheit frei und gefahrlos auf den Straßen von W. bewegen konnte, denn Autos hatten damals im Leben unseres Städtchens keine Rolle gespielt.
    Überhaupt ist früher alles schöner gewesen, sinnierte ich vor mich hin. Wie aufregend war für mich und meine Bande jeder Kinobesuch! Filme, besonders jugendverbotene, waren schon in der letzten Klasse der Volksschule, als wir kaum zehn Jahre zählten, unsere Leidenschaft. Selbstverständlich hätte uns Herr Knoll, der strenge Besitzer des Stadtkinos, der stets beim Eingang stand, um höchstpersönlich die Karten abzureißen, am Betreten des mit rotem Plüsch üppig dekorierten und nach jeder Vorstellung mit Tannennadelduft besprühten Saals gehindert. Er hätte auch sofort unsere Eltern verständigt. Und wir hätten aus unserem Taschengeld nur schwer das Geld für den Eintritt aufgebracht.
    Doch die Not machte uns erfinderisch. Nach Beginn der Vorführung, dem Schließen der Tür und dem Abgang des Zerberus, der sich wieder hinter den Schalter setzte, um Eintrittskarten zu verkaufen, traten wir in Aktion. Wir schlichen durch den Hintereingang, nahmen im Schutz der Dunkelheit in der letzten Reihe Platz und genossen die verbotenen Früchte unseres Handelns: John Wayne im Wilden Westen, den nur von wenigen beherzten Gladiatoren verhinderten Untergang Roms, das sündige Leben der High Society, verkörpert durch das Mädchen Rosemarie. Nicht alles verstanden wir, aber alles haben wir genossen wie nie mehr im späteren Leben. Sonntags, wenn wir, als Belohnung für gute Noten, säuberlich gekleidet und manierlich, von unseren Eltern in die Nachmittagsvorstellung von »Schneewittchen und die sieben Zwerge« oder ähnlichem Kinderkram geführt wurden, zwinkerte Mizzi mir zu. Wir kannten anderes!
    Überwältigt von diesen sentimentalen Erinnerungen beschloss ich, mit Mizzi eine Aussöhnung herbeizuführen, koste es, was es wolle. Schon am nächsten Tag entwarf ich einen versöhnlichen Brief, mit dem ich symbolisch eine Friedenspalme schwenkte und eine Friedenstaube sandte. Da er auch Lügen enthielt, kreuzte ich, abergläubisch wie ich war, beim Aufkleben der Briefmarke fürsorglich den Mittel- über den Zeigefinger.
    Liebe Mizzi!
    Nach dem Tod meines lieben Leopold war alles für mich sehr schwer und traurig. Die letzten Monate habe ich zurückgezogen gelebt, wollte niemanden sehen und schirmte mich von der Außenwelt ab. Ich musste mit meinem Schmerz allein sein. Doch auch die größte Trauer kann nicht ewig währen, das Leben geht weiter. Deine Gesellschaft fehlt mir sehr, und ich möchte Dich sehen. Wie geht es Dir und den Deinen?
    In alter Verbundenheit
    Deine Hermi
    Zu meiner großen Freude antwortete Mizzi umgehend, wir trafen uns und nahmen den Faden der zerrissenen Verbindung wieder auf. Ich trug ihr nichts nach, suchte ihre Vorwürfe zu vergessen, denn auch sie blickte auf eine schwere Zeit zurück. Ihr Mann hatte sie nach dreißigjähriger Ehe wegen einer jungen, blonden und vollbusigen Physiotherapeutin verlassen, die nach einem Bandscheibenvorfall durch gefühlvolle Massage seine Schmerzen beseitigt und dabei sein Herz errungen hatte. Allen durch einen geschulten Mediator herbeigeführten Versöhnungsversuchen war nur kurzer Erfolg beschieden gewesen. Der reuige Sün der kehrte zwar einmal kurz zurück, bat mit Tränen in den Augen und kniend um Verzeihung, erlag jedoch bald darauf wieder den Lockungen der blonden Sirene. Kurze Zeit später machte er sich für immer aus dem Staub. Mizzis Sohn hatte seinen Posten – den wievielten eigentlich? – verloren, ihre Tochter war schwanger und ohne Mann. Die totale Misere! Unsere gemeinsamen Spaziergänge an der frischen Luft
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