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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman
Autoren: Random House
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stellte die Zutaten bereit: 160 g geriebener Graumohn, 160 g feine Thea-Margarine, 160 g Puderzucker, 160 g Koch schokolade, einen Esslöffel Rum sowie den Schnee von fünf Eiern. Dann mischte ich Thea, Zucker, Dotter und Rum mit der geschmolzenen Schokolade, mengte den Eischnee darunter, strich die Masse in eine gefettete Form und schob sie für vierzig Minuten in das vorgeheizte Backrohr. Nach dem Abkühlen überzog ich die Torte mit einer Schokoladenglasur.
    Der Abend des 24. Dezember verlief ruhig, besinnlich und wehmütig. Zum Auftakt tranken wir – alle drei – Sekt, packten die Gaben aus und setzten uns an bezie hungsweise unter den weihnachtlich geschmück ten Tisch. Die Gans roch nicht nur köstlich, sie schmeckte auch so, und die Torte war ein großer Erfolg. »Kann ich das Rezept haben?«, gurrte eine gesättigte Mizzi. »Ich habe es noch niemand verraten«, sagte ich zögernd. Oft schon hatte man versucht, mir das Rezept zu entlocken, doch ich hatte mich stets standhaft geweigert. »Ich gebe dir dafür das von meinem Risotto, der allen, auch dir, so gut schmeckt. Ist auch ein Geheimnis!« – »Na gut, ich bringe es dir morgen vorbei«, gab ich mich konziliant.
    Wir hörten Weihnachtsmusik, plauderten noch ein bisschen, hauptsächlich über Unverfängliches aus dem heimatlichen W., denn wir sparten die traurigen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit aus. »Wie aufregend ist der Heilige Abend zu Hause immer gewesen. Die Spannung und die Ungeduld waren fast unerträglich. Erinnerst du dich noch, wie dein Vater mit uns beiden und einer ganzen Schar von Kindern, die daheim die geheimen Vorbereitungen für das Christkind störten, unterwegs war?«
    Tatsächlich hat mein Vater an jedem 24. Dezember in heroischer Weise die Unterhaltung und Ablenkung der »Gschrappn« der Schlossergasse bestritten, um den Müttern das Schmücken des, wie wir glaubten, vom Christkind herbeigeflogenen Baums zu ermöglichen. Am Vormittag marschierten wir mit ihm, vorbei an der Aufbahrungshalle mit der besinnlichen Aufschrift »Was wir sind, werdet Ihr sein. Was Ihr seid, sind wir gewesen!« auf den außerhalb der Stadt gelegenen Friedhof, wo wir Gestecke auf die Gräber unserer Vorfahren legen und Kerzen anzünden durften. Auf dem Rückweg zeigte er uns in der Stadtpfarrkirche die dort aufgestellte Weihnachtskrippe und hieß uns ein kleines Gebet sprechen – eine erstaunliche Tatsache, denn mein antiklerikaler Vater sparte ansonsten – zum Leid wesen meiner frommen Großmutter – nicht mit abfälliger Kritik an Pfarrern und der katholischen Kirche. Er unterhielt uns auch mit spannenden, gruseligen Geschichten, organisierte kleine Wettläufe oder setzte sich an unsere Spitze, wobei er eine dampfende Lokomotive imitierte, während wir in einer langen Reihe die Waggons spielten. Am frühen Nachmittag lieferte er die Kinder bei ihren Eltern ab.
    »Denkst du noch manchmal an die Puppe?«, fragte mich Mizzi. Ich wusste sofort Bescheid. Kramte diese Frau jetzt sämtliche kleinen Untaten längst vergangener Tage hervor? »Jetzt, wo du mich erinnerst, fällt es mir ein«, antwortete ich vorsichtig. »Ich weiß aber nicht mehr, was aus dem teuren Spielzeug geworden ist. Wahrscheinlich haben es mir meine Eltern weggenommen und mir eine düstere Zukunft prophezeit.« Mizzi gab ein unechtes Lachen von sich, um die nun folgende Beleidigung zu entschärfen: »Wenn ich so zurückdenk, warst du doch ein kleines Luder. Gern g’habt hast du nur deinen Hasen und die Katzen. Uns alle hast sekkiert. Nur der Hahn Peter …« Sie beendete den Satz nicht.
    Am ersten Weihnachtsfeiertag kopierte ich das Rezept der Waldviertler Mohntorte auf teures Briefpapier, umwickelte es mit Goldfäden, hängte noch einen Schokoladeengel daran und machte mich auf den Weg zu meiner Freundin, in der vielleicht eine Feindin steckte. Sie empfing mich in ihrer bei der Scheidung erkämpften Genossenschaftswohnung, die sie seit dem Abgang ihres Mannes und dem Auszug der Kinder allein bewohnte. Freundlich lächelnd überreichte ich meine Gabe.
    Unerklärlicherweise lachte Mizzi wie eine Hyäne, drehte sich um und verschwand in ihrer Speisekammer. Komisch, will sie mir das Rezept nicht aufschreiben?, wunderte ich mich. Kurz darauf erschien meine Freundin grinsend wieder. In der Hand hielt sie zwei Päckchen eines Fertiggerichts von Knorr mit der Aufschrift »Risipisi für Genießer. Schnell zubereitet. In kaltes Wasser einrühren, acht Minuten
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