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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman
Autoren: Random House
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uns, dann händigte es die ermäßigten Karten aus, ohne einen Ausweis zu verlangen. Wir verspürten Ärger. Dieser schwand jedoch augenblicklich, als wir in der Gondel standen. Eingekeilt zwischen lauter sportlichen Schifahrern in voller Ausrüstung, schwebten wir in eine glitzernde Märchenlandschaft, hinauf über schnee bedeckte Baumwipfel, immer weiter, hinaus über die Baumgrenze bis zur fast 2000 Meter hoch gelegenen Bergstation. Von dort reichte die Sicht in der fahlen Wintersonne bis zum Semmering und zum Sonnwendstein.
    Wir tranken in der rustikalen Gaststube der Berghütte einen wärmenden Glühwein und gingen dann eine kurze Strecke in Richtung Ottohaus, auf einem von meterhohen Schneewächten gesäumten Weg. An manchen Stellen hatte der Schneepflug Schneisen hinterlassen, man erahnte den tiefen Abgrund. Von Neugier getrieben, tastete sich meine Freundin an den gefährlichen Schlund, um hinabzusehen und die Aussicht zu bewundern. Kurz, ganz kurz geriet ich in Versuchung. Soll ich es wagen? Kann ich es? Ist jemand in der Nähe? Werden wir beobachtet? Ein kleiner, aber heftiger Stoß, und ich wäre mich von allen realen oder irrealen Sorgen befreit gewesen.
    Im letzten Augenblick riss ich mich zurück. Lass das, es ist deiner nicht würdig! Nein, nicht so plump!, dachte ich bei mir, als sich Mizzi weit vorbeugte. »Pass auf, Mizzilein! Was fällt dir ein? Zurück, zurück!«, schrie ich aufgeregt und hielt sie am Ärmel ihres Anoraks fest. Drei Unglücksfälle genügten mir, ein vierter hätte das Maß der Glaubwürdigkeit beträchtlich überschritten. »Danke, aber es wär mir schon nichts passiert«, sagte meine Freundin, die Gefahr, in der sie sich befunden hatte, stark unterschätzend. »Aber du weißt doch, dass es jedes Jahr auf der Rax mehrere Unfälle mit tödlichem Ausgang gibt«, erklärte ich ihr eindringlich.
    Bald darauf kehrten wir ausgefroren, aber einträchtig nach Wien zurück. Zum Abschied steckte ich ihr einen Umschlag mit einem kleinen Geldbetrag zu und küsste sie – was ich sonst nie tat – auf beide Wangen.
    Die Zuversicht jener Tage erfuhr durch Murlis Krankheit eine Wende zum Schlechten. Als ich vom Ausflug auf die Rax zurückkehrte, sah ich die Mahlzeit des Katers, der im Allgemeinen mehr, als ihm guttat, zu sich nahm, unberührt im Vorzimmer stehen. Er aß auch weiterhin nichts, wirkte apathisch und verkroch sich schließlich in eine Schublade meines Schreibtischs. Selbst seine Lieblingsspeise, norwegischen Lachs, verschmähte er. Nachdem ich dies eine Weile lang sorgenvoll beobachtet hatte, trug ich den Gefährten, mit dem ich, wie dies übrigens auch Hemingway getan hatte, Tisch und Bett teilte, am nächsten Tag sofort zu jenem Tierarzt, der ihn schon seit Langem liebevoll betreute. Jedes Jahr schrieb Dr. S. eine lustige Karte, mit der er Murli zu einer Kontrolluntersuchung samt Impfung einlud.
    Dr. S. empfing seinen Privatpatienten freundlich. Nach kurzer Untersuchung schüttelte er bedenklich den Kopf und teilte mir die Diagnose mit: »Leukose, Katzenseuche, unheilbar.« – »Wie ist das möglich? Sie haben ihn doch immer geimpft? Ihm sogar einen Katzenpass ausgestellt.« – »Dagegen leider nicht. Mir schien, dass Ihnen die Kosten dieser Impfung zu teuer sein würden«, erklärte mir der infame Arzt, während ich in Tränen ausbrach.
    »Was für eine idiotische Ausrede, um das eigene Versäumnis zu kaschieren!« Ich wankte mit Murli, der still in seinem Körbchen lag, erschüttert aus der Ordination. »Diese Gemeinheit. Wie kann er mir unterstellen, dass ich bei Murli Geld sparen wollte.« Noch am selben Tag brachte ich den Kater zur Ambulanz der tierärztlichen Hochschule, wo man mittels Infusionen und Injektionen seinen Tod gerade noch verhindern konnte. Man teilte mir allerdings mit, dass er nicht mehr ganz gesund werden würde, und riet mir zu einem jungen Kätzchen. Als Gesellschaft für Murli und für alle Fälle. So kam »Carlo« zu uns, ein hübsches, verspieltes sechs Monate altes Tierchen, ein Findling, das mitleidige Menschen in der Tierklinik abgegeben hatten.
    Von diesem Zeitpunkt verordnete ich mir, zur Aufrechthaltung meiner selbst und um nicht zu verzweifeln, richtige Pep-Talks: »Wir sind nicht auf dieser Welt, um stumm zu leiden. Der liebe Gott hat uns mit Verstand und Tatkraft zur Lösung unserer Probleme ausgestattet«, sagte ich zu mir. Hatte ich mir das nicht schon mehrfach bewiesen?
    Am 1. Jänner des neuen Jahres leistete ich mir einen von
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