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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman
Autoren: Random House
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Hermi mit solchen Gassenbuben herumrennen?« Ihren behüteten Töchtern untersagten sie den Umgang mit mir und meiner Bande. Das kam mir gelegen, denn ich verabscheute das kindische Getue der niedlichen Mädchen, wenn sie artig im Garten saßen, Kleidchen für ihre Püppchen nähten, mit ihnen sogar sprachen, sie badeten, spazieren führten und schlafen legten.
    Ich als »Old Shatterhand« zog Buben und »Räuber- und-Gendarm«-Spiele bei einfallender Dunkelheit vor. Noch Jahre später vermeinte ich jenen prickelnden Schauer zu verspüren, der mir, versteckt hinter einem Hausvorsprung, über den Rücken jagte, wenn sich der »Gendarm«, nachdem er bis dreißig gezählt hatte, mit dem Ruf »Ich komme!« auf die Suche nach uns »Räubern« machte.
    Häufige, kostenlose »Reality-Shows« ersetzten in der Schlossergasse 14 das Fernsehen, denn es wurde fast täglich gestritten. Zu verschieden waren die unter einem Dach vereinten Charaktere. Die Schwestern Fröhlich im ersten Stock distanzierten sich gerne von ihren als vulgär empfundenen Nachbarn. Altjüngferlich und pedantisch, litten die stets in Weiß gekleideten zwei Damen vor allem darunter, dass sie ihre Toilette mit dem in ihren Augen rohen und derben Ehepaar Prosch, dessen frechen Söhnen Raini und Günther, aber auch deren wechselnden »Bettgehern« teilen mussten.
    In besonderer Erinnerung blieben zwei Monteure eines Wiener Elektrokonzerns, die bei uns in der tiefen Provinz Wartungs- und Reparaturarbeiten durchführ ten. Herr Prosch, ein bei den städtischen Wasserwerken beschäftigter und daher von allen nur »Wassermann« genannter hagerer und griesgrämiger Mann, gewährte ihnen Unterkunft. Er war froh über den kleinen Zusatzverdienst. Und da die jungen Männer im Schichtdienst arbeiteten, schien es ihm ganz logisch, ihnen die Bettbank in der Küche zur gemeinsamen, abwechslungsweisen Nutzung zu vermieten. Besuchte ich meine Spielgefährten, fand ich immer einen der Burschen tief schlafend vor. Er ließ sich weder durch die Kochgeräusche der Frau Prosch noch durch den Lärm, den wir verursachten, stören. Im Wachzustand prahlten die feschen Monteure mit ihrer Männlichkeit. Stolz erzählten sie, dass sie, wenn sich die Gelegenheit bot, bei der Arbeit hübsche und willige Ehe frauen, die sie allein antrafen, »vernaschten«. Wir spitz ten unsere Ohren. Auch Herr Prosch amüsierte sich königlich, während er von einer der Einfachheit halber an einem Nagel im Türrahmen aufgehängten Speckseite, einem Geschenk seiner bäuerlichen Verwandten, kleine Stücke abschnitt und verzehrte.
    Das Lachen verging ihm, als er wegen der mangelnden Hygiene der flotten »Bettgeher« vor dem Bezirksgericht landete. Dieser betrübliche Fall trat ein, nachdem der biedere »Wassermann« in höchster Erregung einem der Fräulein Fröhlich, das sich mit näselnder Stimme über die verschmutzte Toilette beschwerte, einen heftigen Schlag versetzte. Das vom Bezirksrichter verhängte Schmerzensgeld händigte er seinen triumphierenden Gegnerinnen in monatlichen Raten aus.
    Seine privaten Querelen minderten den Status des »Wassermanns« nicht. Im Gegenteil, er galt als Held. Mit Argusaugen wachte er auch weiterhin über die »Bassena«, die einzige Wasserstelle zur Versorgung der Schlossergasse 14 mit dem unentbehrlichen Nass. Als ehrenamtlicher Experte entschied er Fragen, welche die Parteien des Hauses zutiefst bewegten: »Wer verbraucht viel, wer wenig Wasser? Wie sollen die Kosten gerecht verteilt werden?« Die Hausgemeinschaft, die sich – im besten Fall – einmal wöchentlich in das städtische »Tröpferlbad« begab und sich ansonsten mit oberflächlicher Säuberung in einer Waschschüssel, dem »Lavur«, begnügte, beobachtete missbilligend, wel che Verschwendung meine auf höchste Sauberkeit bedachte Mutter betrieb. Nicht nur, dass sie unnötig oft die Holzfußböden unserer Wohnung schrubbte, auf ihr Geheiß hin zogen wir auch – damals eher unüblich – täglich frische Kleidungsstücke an.
    Daraus resultierte, dass meine Großmutter einmal wöchentlich die Gemeinschaftswaschküche in Beschlag nahm. Ein beeindruckendes Schauspiel nahm seinen Lauf. Es dampfte und brodelte in den Kesseln über der Feuerstelle, die voll waren mit zuvor eingeweichten und dann mit Schichtseife auf der »Rumpel« geschrubbten Textilien aus Baumwolle oder Leinen. Es grenzte an Zauberei, wie die geschäftig hantierende Wäscherin zeitweise in den dichten Nebelschwaden vollkommen
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