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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman
Autoren: Random House
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Flusses. Dort, in der Nähe eines rauschenden Wehrs, hatten fürsorgliche Stadtväter vergangener Epochen, als Turnen und Sport groß in Mode kamen, ein Strandbad errichtet. Wir lösten im Kiosk am Eingang Badekarten, bekamen kleine Schlüssel ausgehändigt und verstauten unsere Kleider in einem der Kästchen des weitläufigen grünen Umkleidepavillons, dem kunstvolles Schnitzwerk ein luftiges Aussehen verlieh. In dessen offenen Gängen konnten wir, obwohl dies die Badeordnung ausdrücklich untersagte, hervorra gend Fangen spielen. Sie boten auch Schutz, wenn Un wetter aufzog. Wir saßen dann auf den Balustraden und schauten in den strömenden Regen hinaus, während die von der Sonne aufgeheizte Holzkonstruktion behagliche Wärme abgab. Bis zum Einbruch der Dunkelheit verbrachten wir unbeschwerte Stunden. Erwachsene begleiteten uns nur zum Wochenende, ansonsten genossen wir unsere Freiheit. Meiner Erinnerung nach ist auch – abgesehen von einer einzigen tragischen Ausnahme – niemals etwas passiert.
    Die Kleinen planschten in einem umzäunten, von der Fließstrecke abgetrennten Becken, auf dem Drei-Meter-Brett wippten mutige Jugendliche, bevor sie ihre Sprungkünste vorführten, auf den Holzpritschen in der Liegewiese strickten und plauderten Frauen in bunten Badeanzügen aus dünner Wolle. Ein strenger »Badewaschl« mit Trillerpfeife wachte über Zucht und Ordnung: »Schwimm net so weit hinaus! Fredl, gib a Ruh! Kum aussa, du bist ja schon ganz blau!«, lauteten seine Befehle, denen wir sofort gehorchten. Während sich meine Freunde noch mit ihren voluminösen Schwimmreifen abquälten – zweckentfremdeten Schläuchen alter Autoreifen, die ihnen der freundliche Herr Waiss, seines Zeichens Händler von Kraftfahrzeugen, kostenlos überlassen hatte –, konnte ich bereits schwimmen. Mit kräftigen Stößen durchquerte ich hocherhobenen Hauptes, im Nacken die neidischen Blicke der Gleichaltrigen, mühelos den Fluss. Am gegenüberliegenden Ufer zog ich mich an Land, schüttelte mich und drehte mich selbstbewusst um. Von Hahn Peter und seinem widerlichen rotznäsigen Gefolge, die mir feixend zuschauten, war natürlich kein Beifall zu erwarten. Allerdings auch keine Aggressionen, denn auf dem neutralen Territorium des Strandbades ruhte der Kampf. Abgesehen von gezischten Schimpfwörtern, Anspucken oder »Haxlstellen« im Vorbeigehen, wenn der muskulöse »Badewaschl« wegsah, blieb es friedlich. So konnte auch Hahn Peter ungestört seinen schwarzen Reifen zu Wasser bringen, sich mit seinem massigen Körper darauf niederlassen und sich in dem kühlen Nass – der Fluss wurde niemals richtig warm – hinaustreiben lassen, wobei ihm die Hände als Paddel dienten. Lange betrachtete ich ihn mit gesenkten Augen, dann wurde mir blitzschnell klar: »Das ist die Gelegenheit, auf die du gewartet hast! Die darfst du nicht verpassen.«
    Nichts ist, wie sich bald herausstellte, süßer als Rache! Als er, ganz allein, langsam auf die Mitte des Flusses zutrieb, glitt ich in die Fluten und folgte ihm. Die Sonne schien, die Wellen kräuselten sich, die Bäume am Ufer zeichneten auf der Wasseroberfläche flüchtige, sich rasch wandelnde Schattengebilde. Als ich näher kam, hob Peter den Kopf: »Bleib weg, du blöde Kuh. Weißt ja, dass ich no net schwimmen kann! Tu mir ja nix, sonst erlebst was!« – »Was machst dann da heraußen? G’hörst ins Planschbecken«, lautete meine prompte Antwort. »Fürchtst di gar? Wasserschluckn ist g’sund!« Unter lautem Lachen rüttelte ich spielerisch an seinem Reifen, in dem er hingegossen wie eine feiste Qualle lag. In seiner Angst sah er die grüne Glasscherbe in meiner linken Hand nicht, mit der ich hurtig die Flicken auf dem oftmals geklebten Schwimmbehelf löste. Und da niemand aus dem Bad unseren Kindereien Beachtung schenkte, machte ich noch rasch ein paar kleine Schnitte unter der Wasseroberfläche. Dann ließ ich von meinem Opfer ab. Als kleine Bläschen, Vorboten kommenden Unheils, aus dem durch löcherten Gummi aufstiegen, entfernte ich mich schnell, zufrieden über die kleine Lektion, die ich dem bösen Buben erteilt hatte. Aus sicherer Entfernung beobachtete ich, wie er sich an den Rettungsanker klammerte, aus dem langsam die Luft entwich, zuerst seinen Freun den winkte, dann um Hilfe schrie, wie wild um sich schlug, unterging, auftauchte, unterging und schließlich versank. Schließlich stürzte sich der alarmierte »Badewaschl«, der anfangs an ein dummes Bravourstück
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