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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu
Autoren: Gercke Stefanie
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    D ie Geschichte begann an Anita Carvalhos Geburtstag, einem ungewöhnlich heißen Julitag im Jahr 2008, auf einem Segelboot vor der südöstlichen Küste Mallorcas.
    Eineinhalb Jahre später, mitten im afrikanischen Busch, in einem stinkenden, kakerlakenverseuchten Loch, fragte sich Anita, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wären sie an diesem Morgen nicht zu einer Segeltour aufgebrochen.
    Wären sie an Land geblieben und hätten stattdessen einen Bummel durch Palmas Altstadt gemacht und anschließend ihren Geburtstag auf der Terrasse vom Can Carica gefeiert.
    Hätte ihre Mutter keine Migräne bekommen.
    Aber sie waren nicht an Land geblieben, sie waren hinausgesegelt, und ihre Mutter hatte Migräne bekommen.
    Â 
    An jenem Tag saß Anita auf dem Vordeck der Segelyacht und konnte es nicht fassen, dass das Leben so schön sein konnte. Die Welt schimmerte wie eine gläserne Perle. Kein Hauch regte sich. Der Himmel war endlos, das Meer seidenglatt, und Salzschleier drifteten glitzernd in der Luft. In der Ferne glänzten die weißen Häuser der Küstenorte zwischen sattem Piniengrün, die Berge, die das Rückgrat der Insel bildeten, waren hingewischte Pinselstriche in Monet-Blau.
    Ein Tag zum Träumen, dachte Anita und sah einer Möwe nach, die auf lautlosen Schwingen in die blaue Unendlichkeit glitt. Ein Tag, an dem die Welt heil ist. Ein perfekter Tag, den man bis in alle Ewigkeit dehnen möchte. Träge lauschte sie dem leisen Plätschern am Rumpf des Bootes, das in der Mittagsflaute
dümpelte. Die gleißende Julihitze, die über der Insel lag, dämpfte alle anderen Geräusche. Ihre Gedanken verschwammen.
    Zu ihrem Geburtstag hatte ihre Mutter sie und Frank für eine Woche in das kleine Haus in Mallorcas warmen Hügeln eingeladen, das ihre Eltern vor vielen Jahren von einem Künstler  – einem Keramiker, der recht bekannt war  – gekauft hatten. Es lag im Inneren der Insel und war aus dem typischen goldenen Sandstein der Gegend gebaut worden. Ihre Eltern hatten das Haus mit viel Eigenarbeit umgebaut, alte Wände abgedichtet, neue gezogen, Fenster hineingebrochen und den Boden gefliest. Zwei Schlafzimmer waren so entstanden, ein Badezimmer, die kleine Küche und ein Wohnzimmer, dessen zweiflügelige Glastür auf eine sonnige Terrasse führte und einen wunderbaren Blick über das weite Tal zum Meer bot, das als intensiver blauer Farbklecks den Horizont markierte. Der Ort herrlicher Erinnerungen an lange, müßige Ferientage, der Ort, an dem sie und ihre Eltern auf innigste Weise glücklich gewesen waren.
    Einst hatte das Häuschen wohl als Schweinestall für die große Finca gedient, die fünfhundert Meter weiter am Berghang lag, denn an windstillen, heißen Tagen meinte Anita, in der winzigen Küche noch einen Hauch von Schwein riechen zu können. Aber dann wehte der himmlische Duft von Orangenblüten herein und vertrieb die Erinnerung an die ursprüngliche Bestimmung des Häuschens.
    Seit dem Tod ihres Vaters 1985 verbrachte ihre Mutter die meiste Zeit des Jahres hier. Sie war gerade 77 Jahre alt geworden, schlank und von endlosen Stunden auf dem Golfplatz  – den einzigen Luxus, den sie sich leistete  – und der Arbeit in ihrem kleinen Garten von der mediterranen Sonne lederbraun gebrannt. Anita hatte mit Vergnügen bemerkt, dass der Besitzer der großen Finca, ein distinguierter Mallorquiner, der ebenfalls verwitwet war, immer öfter ihre Gesellschaft suchte, seit beide festgestellt hatten, dass sie die Leidenschaft für Golf und das Gärtnern teilten.

    Schritte erklangen, ihre Mutter, in weißen, weiten Hosen und lockerem marineblauem Oberteil, erschien an Deck und machte sich daran, den Tisch im Cockpit aufzuklappen und Leinensets und Besteck zu verteilen. Anita öffnete die Augen und reckte sich ausgiebig. Die Segeltour war Franks Geburtstagsüberraschung, und für den Abend hatte er einen Tisch im Can Carica gebucht, dessen quirliger Inhaber den besten Fisch in Salzkruste zubereitete, der an Mallorcas Ostküste zu finden war. Ihre Mutter, die sich ab und zu ein Essen dort leistete, hatte ihn empfohlen. Anita stand auf, um zu helfen.
    Â»Frank hat mir lediglich erlaubt, die Salatsoße zu machen, und mich an das übrige Menü nicht herangelassen.« Ihre Mutter stellte eine Flasche mit einer honigbraunen Flüssigkeit auf den Tisch.
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