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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu
Autoren: Gercke Stefanie
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die Worte vom Mund und wirbelte sie hinaus über das aufgewühlte Meer.
    Niemand antwortete. Jetzt verbiss sich die Angst wie ein wildes Tier in ihrer Kehle. »Frank!«, schrie sie noch einmal, bekam aber wieder nichts als das Echo ihrer eigenen Worte. Sie packte
ihre Mutter an der Schulter und schüttelte sie. »Mama, wo ist Frank?«
    Anna-Dora Carvalho bewegte nur benommen den Kopf. In diesem Augenblick erinnerte sich Anita an den dumpfen Schlag, dieses grauenvolle Geräusch, als platzte eine Kokosnuss, und ihr wurde schlagartig klar, was geschehen sein musste.
    Â»Frank!«, schrie sie, rannte wieder hinüber zur Reling und lehnte sich weit vor. »Liebling!«
    Weiße Katzenköpfe tanzten auf den Wellen, lange Schaumschleier trieben dahin. Wasser, so weit sie blicken konnte. Sonst nichts. Eine schiefergraue Fläche, leer bis an den Horizont.
    Die gläserne Perle zerbarst.
    Â 
    Später, als das Gewitter längst in sich zusammengefallen war, kreiste ein Hubschrauber der Küstenwache über dem Gebiet, wo Frank im Meer verschwunden war. Anita hatte sie über Funk gerufen. Ihr Notruf war von mehreren Motorbootkapitänen gehört worden, die jetzt bei der Suche halfen. Anita wandte den Kopf und sah dem Boot der Küstenwache entgegen, das heranrauschte und sich schließlich längsseits legte. Der Comandante kam mit einem Kollegen an Bord ihres Bootes und begrüßte sie mit einem Nicken.
    Â»Gehört die Yacht Ihnen, Señora?«, fragte er, ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten. Er sprach englisch.
    Â»Nein. Die ist für ein paar Tage gemietet.« Ihr Mund war trocken, die Zunge klebte ihr am Gaumen. Es machte das Reden schwer.
    Â»Wie heißen Sie, und woher kommen Sie?« Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass sein Kollege alles notierte.
    Â»Anita Carvalho.« Der Wind hatte deutlich nachgelassen, aber die Hitze war nicht wesentlich weniger geworden, trotzdem erschauerte sie unter dem dünnen Hemd, das sie über ihren Bikini geworfen hatte.

    Der Comandante sah sie forschend an. »Carvalho? Sind Sie Portugiesin?«
    Â»Nein, Deutsche. Mein Vater war Brasilianer. Meine Mutter heißt Anna-Dora Carvalho und lebt die meiste Zeit auf der Insel.«
    Â»Ah«, machte der Comandante und verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Und Sie heißen Anita. Die kleine Anna … hübsch.« Er lächelte. Seine Zähne schimmerten sehr weiß.
    Sie nickte stumm. Die kleine Anna, so hatte ihr Vater sie als kleines Mädchen immer gerufen. Er war es gewesen, der den Namen Anita für sie gewählt hatte.
    Der Comandante hatte einen Augenblick nachdenklich über die Wellen geschaut, jetzt drehte er sich um. »Der Vermisste … Wer war er?«
    Die Frage kam unerwartet, und die Vergangenheitsform traf Anita in den Solarplexus. Sie rang nach Luft. »Mein Verlobter, Frank Börnsen. Er ist auch Deutscher.« Sie weigerte sich, von ihm in der Vergangenheit zu sprechen.
    Der Comandante deutete mit einer Handbewegung auf seinen Kollegen. »Bitte buchstabieren Sie den Namen.«
    Er wartete, bis Anita das getan hatte, dann fixierte er sie mit einem unerwartet scharfen Blick. »Was ist hier eigentlich vorgefallen?«
    Das war genau das, worüber sie nicht einmal nachdenken wollte, geschweige denn reden. Aber nach einer kurzen Pause sammelte sie all ihre Kraft und berichtete mit monotoner Stimme, was vermutlich passiert war. »Gesehen habe ich den Unfall nicht, ich war unter Deck, aber ich habe gehört, wie der Baum herumgeschwungen ist und … und jemand getroffen hat.« Wie sich das Geräusch angehört hatte, das konnte sie einfach nicht in Worte fassen. Eine Welle saurer Übelkeit drohte sie zu überrollen. »Ich habe meine Mutter gefragt, immer und immer wieder, aber es ist nichts herauszukriegen, kein Wort. Es ist, als ob sie mich überhaupt nicht versteht.«

    Der Comandante tippte an seine Mütze. »Das reicht. Für jetzt. Eine genaue Aussage können Sie dann an Land bei der Hafenpolizei machen.«
    Danach wies er seine Besatzung an, die alte Señora, die offenbar einen so schweren Schock davongetragen hatte, dass sie nicht ansprechbar war, in sein Boot hinüberzubringen. »Bringt sie unter Deck und schnallt sie fest«, befahl er.
    Zwei seiner Leute beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. Anna-Dora Carvalho wurde vorsichtig hinüber auf das Boot der
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