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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu
Autoren: Gercke Stefanie
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Holzplanken und stellte sie auf die Beine, ließ ihre Schultern aber nicht los, als befürchtete er, dass sie gleich wieder ins Wasser springen könnte. Der Mann, ein gut aussehender, braun gebrannter Spanier, beugte sich zu ihr herunter und zwang sie, ihn anzusehen. »Wollten Sie sich etwa umbringen? Ich glaube, ich sollte Sie ins Krankenhaus bringen.«
    Â»Nein, natürlich nicht«, brachte sie mühsam hervor. »Ich bin ausgerutscht und habe Wasser geschluckt. Das ist alles.« Zur Demonstration hustete sie ausdauernd und zeigte dabei mit dem Daumen auf ihre Yacht. »Das ist mein Boot. Vielen Dank für Ihre Mühe und Ihren mutigen Einsatz, aber mir ist kalt, und ich möchte mich jetzt umziehen und schlafen.«
    Und allein sein, um mir darüber klar zu werden, wie ich ein
Leben ohne Frank leben soll, wie ich die leeren, einsamen Jahre, die vor mir liegen, durchstehen soll, setzte sie schweigend hinzu. Ihre Miene jedoch verriet nichts von ihrem inneren Zustand.
    Der Spanier nahm mit zweifelnder Miene seine Hände von ihren Schultern, so als glaubte er, dass sie jeden Moment umfallen könnte. Sie zwang sich, seinen Blick mit einem freundlichen Gesichtsausdruck zu erwidern, und es gelang ihr, das Zittern so weit zu verbergen, dass er es offenbar nicht wahrnahm. Jedenfalls trat er einen Schritt zurück.
    Â»Gut. Aber seien Sie in Zukunft vorsichtiger. Wenn Sie allein an Bord sind, sollten Sie immer gesichert sein. Das ist eine Grundregel für Solo-Segler  – das sollten Sie doch wissen«, setzte er mit unüberhörbarem Vorwurf hinzu. »Wenn Sie Hilfe benötigen, brauchen Sie mich nur zu rufen. Ich wohne auf meiner Yacht.«
    Â»Okay, danke«, sagte sie mit gezwungenem Lächen, sprang auf den Steg, rannte zu ihrem Boot und kletterte an Bord. Sie schaffte es noch bis in ihre Kajüte, ehe sie wie von einer Axt getroffen auf der Koje zusammenbrach und in ein schwarzes Loch stürzte.
    Das alles geschah Mitte Juli 2008.
    Am nächsten Tag und an den darauf folgenden drei Tagen segelte sie jeden Morgen bei Sonnenaufgang hinaus zu der Stelle, wo Frank ins Meer gefallen war. Es herrschte ein kräftiger Wind, der ihr das lange Haar immer wieder in die Augen blies. Impulsiv nahm sie eine Schere und schnitt es kurzerhand rundherum auf Kinnlänge ab. Die abgeschnittenen Haarbüschel warf sie über Bord. Den kühlen Luftzug, der nun ihren Nacken umfächelte, empfand sie als sehr angenehm.
    Stundenlang kreuzte sie dort draußen unter der sengenden Sonne, starrte gebannt von der Reling in die Wellen, vergaß zu essen, kehrte erst in den Hafen zurück, als die Nacht längst hereingebrochen war und nur die Sterne ihr den Weg leuchteten.
Sie schlief nur noch sporadisch, aß nicht, trank wenig, magerte ab, rutschte tiefer und immer tiefer in einen grauen Sumpf der Verzweiflung.
    Jeden Tag besuchte sie ihre Mutter im Krankenhaus. In den paar Tagen seit dem Unfall war sie furchtbar gealtert, ihr Haar breitete sich glanzlos und strähnig auf dem Kissen aus. Ihre Augen waren leer, das Funkeln darin für immer erloschen. Stumpf sah sie ihre Tochter an, drehte sich dann wortlos zur Wand. Ein Jammerlaut wie von einem verletzten Tier, begleitet von einer heftigen Armbewegung, zeigte Anita unmissverständlich, dass ihre Mutter nicht mit ihr reden wollte.
    Der Stationsarzt legte ihr nahe, sie zurück nach Deutschland in ihre gewohnte Umgebung zu bringen. »Es geht ihr nicht gut. Sie weigert sich zu essen und auch zu trinken, sodass wir sie an den Tropf legen mussten. Sie redet mit niemandem, antwortet auf keine Fragen. Bis heute haben wir nicht erfahren können, was dort draußen vorgefallen ist. Selbst ihren Namen weiß ich nur aus der Akte. Ich befürchte, sie ist in eine schwere Depression abgestürzt und braucht dringend ärztliche Hilfe, aber das hat nur Zweck, wenn es in ihrer Muttersprache geschieht.«
    Anita sah ein, dass sie diese schreckliche Lethargie, die nicht nur ihre Glieder, sondern auch ihr Denkvermögen lähmte, abschütteln musste. Innerlich wie versteinert räumte sie auf dem Boot auf und packte ihre Sachen und die ihrer Mutter. Franks Sachen fasste sie nicht an.
    Konnte sie nicht anfassen, konnte kaum hinsehen. Franks Schuhe standen vor seiner Koje, zeigten deutlich die Form seiner Füße. Das Kopfkissen trug noch den Abdruck seines Kopfes. Ein Sweatshirt, das er über einen Hocker geworfen hatte,
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