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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe
Autoren: Simon Beckett
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mehrerer Wochen, während meiner Abwesenheit nicht verändert. Ich
     verharrte einen Moment vor der Tür und schaute mich in der Leere um. Aber sie traf mich nicht so schlimm, wie ich gedacht
     hatte.
    Ich ließ den Koffer stehen, stellte die Reisetasche auf den Tisch und fluchte, als ein lautes Klirren mich an deren Inhalt
     erinnerte. Ich öffnete den Reißverschluss und rechnete schon damit, dass mir der Dunst von ausgelaufenem Alkohol entgegenströmen
     würde, aber es war nichts kaputtgegangen. Ich stellte die eigentümlich geformte Flasche, auf deren Korken das winzige Pferd
     mit Jockey thronte, auf den Tisch. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, sie gleich zu öffnen, aber es war noch zu früh. Darauf
     konnte ich mich später freuen.
    Ich ging in die Küche. Die Wohnung war etwas ausgekühlt, was mich daran erinnerte, dass ich, Frühling oder nicht, zurück in
     England war. Ich schaltete die Zentralheizung ein und setzte dann den Wasserkessel auf.
    Ich hatte seit Wochen keinen Tee mehr getrunken.
    Mein Anrufbeantworter blinkte. Ich hatte über zwei Dutzend Nachrichten erhalten. Ich wollte sie automatisch abhören, überlegte
     es mir dann aber anders. Wer mich dringend hätte erreichen wollen, hätte mich auf meinem Handy angerufen.
    |406| Außerdem würde sowieso keine Nachricht von Jenny dabei sein.
    Ich machte mir einen Becher Tee und ging damit zum Esstisch. In der Mitte stand eine leere Obstschale, in der nur ein kleiner
     Zettel lag. Als ich ihn herausnahm, sah ich, dass es eine Notiz war, die ich vor der Abreise gemacht hatte:
Tom
Ankunftszeit mitteilen
.
    Ich knüllte ihn zusammen und ließ ihn wieder in die Schale fallen.
    Schon jetzt konnte ich spüren, wie mein altes Leben wieder Besitz von mir ergriff. Die Zeit in Tennessee schien Ewigkeiten
     her zu sein; die Erinnerung an den sonnendurchfluteten Garten voller Libellen und Leichen und an die schrecklichen Szenen
     im ehemaligen Sanatorium war so unwirklich wie ein Traum. Aber es war alles andere als ein Traum gewesen.
    Einundvierzig Leichen waren in Cedar Heights gefunden worden; siebenundzwanzig auf dem Grundstück, der Rest im Bad und in
     den Behandlungszimmern. Kyle hatte keine Unterschiede gemacht. Seine Opfer waren eine wahllose Mischung aller Altersklassen,
     Geschlechter und Ethnien. Manche waren seit fast zehn Jahren tot, und ihre Identifizierung war noch nicht abgeschlossen. Die
     Brieftaschen und Kreditkarten, die er aufgehoben hatte, beschleunigten diese Arbeit ein wenig, aber es war schnell klar geworden,
     dass es mehr Leichen als Ausweispapiere gab. Viele seiner Opfer waren Landstreicher und Prostituierte gewesen, deren Verschwinden
     nur selten bemerkt, geschweige denn gemeldet worden war.
    Wenn Kyle sich nicht hätte beweisen wollen, hätte er ewig weitermachen können.
    Aber nicht alle Opfer waren anonym. Irvings Leiche war in dem gleichen Raum gefunden worden, in dem auch |407| Summer gelegen hatte, und unter den Namen, die bereits identifiziert worden waren, stachen drei hervor. Einer davon war Dwight
     Chambers. Seine Leiche war im Bad gefunden worden, während sein Portemonnaie und sein Führerschein in dem Haufen in der Küche
     des Sanatoriums gelegen hatten und Yorks Aussage von dem Zeitarbeiter bestätigten, den er in Steeple Hill angestellt hatte.
    Der zweite Name, der die Alarmglocken läuten ließ, war Carl Philips, ein sechsundvierzig Jahre alter paranoider Schizophrener,
     der mehr als ein Jahrzehnt zuvor aus einer staatlichen Psychiatrieklinik verschwunden war. Seine Überreste waren nicht nur
     die ältesten, die im Sanatorium gefunden worden waren, sein Großvater war zudem der Gründer von Cedar Heights gewesen. Philips
     hatte den heruntergekommenen Besitz geerbt, sich aber nie um eine Sanierung gekümmert. Die Anlage hatte brachgelegen und war
     vergessen worden
,
bewohnt allein von Termiten und Libellen.
    Bis Kyle sie für seine Zwecke entdeckt hatte.
    Aber es war der dritte Name, der die größte Verwirrung auslöste. Es handelte sich um einen neunundzwanzig Jahre alten Assistenten
     eines Leichenschauhauses aus Memphis, dessen ausgeblichener Führerschein auf der Kommode unter den Fotografien der Opfer gelegen
     hatte. Seine Überreste waren aus dem Unterholz am Teich geborgen und anhand zahnärztlicher Unterlagen eindeutig identifiziert
     worden.
    Sein Name war Kyle Webster.
    «Er ist seit achtzehn Monaten tot», erzählte mir Jacobsen, als ich sie anrief, nachdem ich aus den Fernsehnachrichten davon
    
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