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Leiche in Sicht

Leiche in Sicht

Titel: Leiche in Sicht
Autoren: Nancy Livingston
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nur ein, oder behandelte ihn das Pflegepersonal
tatsächlich mit mehr Respekt?
    «Weißt du eigentlich, warum du hier in
einem Einzelzimmer liegst?» wollte Mrs. Bignell wissen. Er sah sie fragend an.
«Enid hat gedroht, dich umzubringen. Ich habe es in der Zeitung gelesen.
Deshalb steht draußen vor der Tür auch ein anderer Name.»
    «Und wie heiße ich jetzt?»
    «Mr. Smith.» Mavis seufzte. Der Name
hatte im Augenblick jeden romantischen Glanz verloren. «Glaubst du, daß sie es
wirklich versuchen wird?»
    Bisher war es ihm gelungen, jeden
Gedanken an Enid erfolgreich zu verdrängen. Doch er mußte den Tatsachen ins
Gesicht sehen. Er hatte ihr Leben zerstört, warum sollte sie nicht auch seines
zerstören wollen. «Was ist denn überhaupt hinterher noch passiert?» erkundigte
er sich. «Sie erlauben mir nicht, Zeitungen zu lesen.» Und auch einen Spiegel
bekam er nicht, dachte er, sie wollten ihn wohl schonen.
    «Nun», sagte Mavis und überlegte einen
Moment, «die Zeitungen waren am nächsten Tag natürlich voll davon. Sie haben
übrigens ein Foto von dir gebracht, wie du auf der Bahre herausgetragen wurdest
— blutüberströmt. Aber nur eine ziemlich kleine Aufnahme. Den meisten Raum nahm
das Foto von Emma ein, wie sie die Kirche betrat. Sie sah übrigens sehr
glücklich aus, eben wie man sich eine Braut vorstellt.»
    «So.»
    «Dann kam ein Bericht, was passiert
ist. Im Fernsehen haben sie einen Chorknaben interviewt, der sagte, er habe
alles gesehen, und dein Gesicht sei nur noch ein Brei gewesen. Ich war sehr
erleichtert, als ich herkam und feststellte, daß es nur eine Seite
erwischt hat. Und dann hieß es noch, die Polizei verweigere im Moment jeden
Kommentar, aber die Ermittlungen gingen weiter.» Und das mußte ihm für die
nächsten vierundzwanzig Stunden genügen.
     
    «Ich hätte da gern noch zwei, drei
Punkte geklärt, Sir. Es dauert nicht lange. Ich hoffe, Sie fühlen sich stark
genug?» Mr. Pringle war eine halbe Stunde zuvor zum erstenmal erlaubt worden,
aufzustehen und ins Bad zu gehen, und dort hatte er sich im Spiegel gesehen.
Seit seiner Rückkehr hatte er kein Wort mehr gesagt. «Schön, daß Sie schon
wieder auf sind», sagte der Beamte mit gespielter Fröhlichkeit. Hoffentlich
stirbt er uns nicht weg, dachte er, wir brauchen ihn als Zeugen.
    «Was wollen Sie wissen?» Wenigstens
reden konnte er noch, dachte Mr. Pringle. Der Beamte blätterte seine Notizen
durch. Er würde, wenn er nachher ginge, mit der Stationsschwester sprechen und
ihr erklären, wie wichtig dieser Patient war. Vielleicht gab es ja irgendein
besonderes Medikament...
    «Was diesen Roge Harper betrifft...»
Der Anblick des jämmerlichen Bündels, das ihn mit seinem einen gesunden Auge
anstarrte, hatte ihn unwillkürlich lauter sprechen lassen.
    «Hören kann ich sehr gut.»
    «Ja, natürlich. Entschuldigen Sie. Also
was diesen Harper betrifft, da haben Sie ausgesagt, er habe mit Ihnen und
Matthew Shaw gesprochen. Können Sie mir sagen, wann das war und was genau er
gesagt hat?»
    «Es war der Tag, an dem Elizabeths
Leiche gefunden worden war; wir kamen gerade zurück von der polizeilichen
Vernehmung in Parga. Roge wartete beim Boot auf uns. Soweit ich mich erinnere,
sagte er so etwas wie: ‹Es ist mir gelungen, sie zu sehen.› Mit ‹sie› meinte er
Elizabeth. Ich habe ihm noch ziemlich zugesetzt, weil ich dachte, daß er sie um
Geld gebeten hatte. Aber wieso wollen Sie das alles wissen — gibt es
Schwierigkeiten?»
    «Ja.» Der Beamte sah ihn an. «Matthew
Shaw bestreitet eine derartige Unterhaltung, er bestreitet, Roge Harper an
jenem Tag überhaupt noch gesehen zu haben. Und da wir Mr. Harper nicht mehr
fragen können...»
    «Nun», sagte Mr. Pringle in bestimmtem
Ton, obwohl er spürte, wie er innerlich zitterte, «mein Neffe und Emma
Fairchild haben sich wohl in mir verrechnet. Sie haben mich ganz offenbar
ausgesucht, weil sie dachten, in mir einen zuverlässig wirkenden, gleichwohl
etwas trotteligen Zeugen zu haben, der beschwören würde, daß er Elizabeth am
Abend des Barbecue gesehen hätte, und dem vor allen Dingen alle glauben würden.
Und nun stellt es sich heraus, daß ich einerseits zuverlässiger, andererseits
aber auch weniger trottelig bin, als sie sich das gedacht haben. Aber das ist
ihr Problem.»
    Der Inspector klopfte sich mit dem
Kugelschreiber gegen die Zähne. Schön, daß sie den alten Herrn wieder so
hingekriegt hatten. Das Blut hatte ihm offenbar gutgetan. Wenn es zu
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