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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Zeit zu sterben
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Stimme.
    «Du weißt ja nicht, was Ari …» Jetzt weinte sie doch. Zwischen den Schluchzern holte ich aus ihr heraus, dass Ari gedroht hatte, sie und die Kinder umzubringen, wenn sie ihn verließ.
    «Auch das musst du unbedingt der Polizei erzählen. Wir haben Beweise genug. Ab Anfang nächsten Jahres gibt es ein Kontaktverbotsgesetz, dann kann die Polizei Ari verbieten, sich euch zu nähern. Das schaffen wir schon», beschwichtigte ich Sirpa, die auf einmal völlig hysterisch war. Ich hielt das für eine weit-aus gesündere Reaktion als die Apathie, die sie bei ihren früheren Besuchen gezeigt hatte.
    «Ich wusste gleich, das gibt Ärger, als ich hörte, dass Matti einen Mann als Lehrer hat. Ich darf ja nicht mal mit den Nachbarn reden», seufzte sie schließlich. «Als ob ich die ganze Zeit nur Männer und Sex im Kopf hätte, dabei widert mich das Ganze doch nur an.» Sirpa versuchte zu lächeln, aber das Ergebnis fiel genauso gekünstelt aus wie bei mir. Wir spielten das Spiel
    «Alles in Ordnung», obwohl wir beide wussten, wie minimal die Gewinnaussichten bei diesem Spiel waren. Der Verlierer jedoch würde vielleicht mit dem Leben bezahlen.
    «Soll ich jetzt bei der Polizei anrufen?», fragte ich. Sirpa nickte. Dummerweise erreichte ich weder Hauptkommissarin Kallio noch Kriminalmeister Wang, aber ich bat um Rückruf.
    Sirpa war bereit, vorläufig im Frauenhaus zu bleiben, hatte aber nicht genug Kleidung mitgebracht.
    «Ich traue mich nicht, welche zu holen. Wenn Ari nun doch zu Hause ist.»
    «Wir könnten die Polizei um Begleitung bitten.»
    «Was denken da die Nachbarn?», wimmerte Sirpa. Ich gab keine Antwort, dachte aber, dass der Anblick von Polizisten die Nachbarn wohl kaum überraschen dürfte. Sie mussten mitge-kriegt haben, was bei den Väätäinens passierte, aber als typische finnische Hochhausbewohner hielten sie Augen und Ohren verschlossen. Jedenfalls hatten sie nicht ein einziges Mal die Polizei alarmiert.
    Ich beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.
    «Was braucht ihr?», fragte ich und nahm Block und Kugel-schreiber zur Hand. Sirpa zählte Kleider und Spielzeug auf und beschrieb, wo ich alles finden würde. Ich war früher schon einmal bei den Väätäinens gewesen, um ein Antibiotikum für Matti zu holen, das Sirpa vergessen hatte, aber damals kannte ich Ari noch nicht so gut wie jetzt. Sirpa meinte, ihr Mann habe jetzt Dienst, er müsse mit seinem Bus auf dem Weg von Matinkylä ins Zentrum von Helsinki sein. Ich nahm mir vor, mich per Telefon zu vergewissern, bevor ich die Wohnung betrat, denn ich hatte nicht die geringste Lust, Ari in seinem eigenen Revier zu begegnen. Nicht dass ich geglaubt hätte, er würde mich angrei-fen, eher misstraute ich mir selbst.
    «Ja, und dann noch etwas.» Sirpa wirkte verlegen. «Ich habe gestern so eine Frauenzeitschrift gekauft, weil da ein Interview mit Marco Bjurström drin ist. Könntest du die auch mitbringen?
    Ich habe sie oben im Küchenschrank versteckt, in einer Schachtel mit einer flachen Glasschüssel. Ich habe Angst, dass Ari sie findet und einen Wutanfall kriegt. Er kann es nämlich nicht ausstehen, wenn ich mir Marcos Sendung angucke. Letztes Mal hat er das Antennenkabel durchgeschnitten, weil ich angeblich so leuchtende Augen hatte. Aber er hat es gleich am nächsten Morgen repariert, weil die Formel I übertragen wurde. Beinah wäre es allerdings gleich wieder kaputtgegangen, als Mika Häkkinen das Rennen abgebrochen hat.» Sirpa kicherte nervös und nahm sofort die Hand vor den Mund. Sie hatte gelernt, über Ari nicht zu lachen. Ich gickelte mit, um ihr Mut zu machen. Wenn sie erst einmal über Ari lachen konnte, lernte sie eines Tages vielleicht, sich zu behaupten.
    Sirpa ging, um mit Toni zu spielen, und ich befasste mich mit meinen chronischen Klientinnen, zwei Quartalssäuferinnen, die eigentlich nicht ins Frauenhaus gehörten. Aber wo sollten sie sonst hin? In den letzten Jahren hatten Alkoholprobleme bei Frauen erschreckend zugenommen, die wenigen Therapieplät-ze waren belegt. Die Jüngere der beiden, die 40-jährige Mirja, schien sich allmählich zum Glauben zu bekehren, und Pauli be-stärkte sie mit großem Geschick. Vielleicht war das ihre Rettung.
    Heute wollte sie zur Kirche und zum Sozialamt. Ich gab ihr Geld für den Bus, aber keinen Pfennig mehr. Wenn sie das Geld vom Sozialamt versoff, war das nicht unser Problem. Betrunken wurde niemand in den Schutzhafen eingelassen.
    Die Mittagspause dauerte von zwölf bis eins.
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