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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Zeit zu sterben
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man verboten hat, das Süßigkeitenregal im Laden anzurühren.
    «Unser Matti ist doch in der ersten Klasse. Er hat einen Mann als Lehrer. Die Schule war gestern schon um zwölf aus, ich habe ihn mit Toni abgeholt, wie immer. In der letzten Stunde hatten sie Sport gehabt, der Lehrer war auf dem Hof, und wir haben ein paar Worte gewechselt. Als wir nach Hause kamen, wartete Ari schon, er hatte die Schicht gewechselt und war an der Schule vorbeigefahren. Da hatte er gesehen, wie ich den Lehrer an-lächelte … Dann hat er die Schere geholt», schluchzte Sirpa.
    «Diesmal erstattest du Anzeige. Wir versuchen dir eine Wohnung zu besorgen. Mit dem Prügeln ist jetzt Schluss!» Ich merkte, dass ich brüllte. Sirpa fuhr zusammen.
    «Anzeige? Weil er mir die Haare abgeschnitten hat? Das ist doch kein Verbrechen.»
    «Doch, das ist es. Und Ari hat sowieso schon genug auf dem Kerbholz. Wir wenden uns direkt an Kommissarin Kallio.» Ich warf einen Blick auf die Liste mit den Telefonnummern der Polizei und des Sozialamts. «Soll ich zuerst mit ihr sprechen?»
    Bevor Sirpa antworten konnte, ging die Tür auf. Pauli klopfte nie an.
    «Tag, Sirpa», sagte er lächelnd. «Ari hat angerufen. Wir haben für viertel nach drei ein Familiengespräch vereinbart. Bis dahin ist doch Marjo aus der Schule zurück?»
    «Geht nicht», warf ich ein. «Sirpa hat um halb drei einen Friseurtermin.»
    «Friseurtermin?» Paulis Stimme war plötzlich schneidend.
    «Die Haare können so nicht bleiben. Verschieb das Familiengespräch auf morgen. Es wird Väätäinen gut tun, eine Weile über seine Taten nachzudenken.»
    Pauli trat näher an meinen Stuhl heran, er sah restlos verblüfft aus.
    «Seit wann bestimmst du über die Termine in diesem Haus?»
    «Seit heute.»

    Es war schwer, dem starren Blick der kleinen dunkelblauen Augen standzuhalten. Pauli mochte es nicht, wenn man ihm vor den Klientinnen widersprach. Ich stand auf. Pauli war ein paar Zentimeter kleiner als ich und hatte diesmal keine aufgedop-pelten Schuhe an.
    «Ari Väätäinen hat schon zu viele Chancen bekommen. Reden hilft jetzt nichts mehr. Die Kinder leiden ja auch darunter.
    Marjo erbricht sich andauernd, und Matti macht fast jede Nacht ins Bett. Meiner Meinung nach wäre es für sie das Beste, vorläufig hier zu bleiben.»
    Pauli starrte mich an und versuchte sich zu beherrschen. Als er sich endlich zu Sirpa umdrehte, war seine Stimme wieder vä-
    terlich und besänftigend:
    «Natürlich können Sirpa und die Kinder hier bleiben, solange sie wollen, aber das schließt doch ein Treffen mit Ari nicht aus. Nicht wahr, Sirpa?»
    Sirpa nickte vorsichtig, in ihren Augen stand die Furcht. Ich wusste, was passieren würde. Ari würde tränenreich bereuen und Besserung geloben. Das hatte ich bereits zweimal erlebt, und beim ersten Mal war es ihm gelungen, mich zu überzeugen.
    Beim zweiten Mal war ich schon skeptischer gewesen, obwohl ich ihm immer noch glauben wollte.
    «Sirpa und ich sind mitten in einem Gespräch. Es geht um vertrauliche Dinge unter Frauen. Würdest du uns bitte allein lassen, Pauli?»
    Es war mir selbst ungewohnt, mich so kühl und entschieden reden zu hören, meine Stimme klang plötzlich mehrere Lagen tiefer als mein normaler, weicher und verständnisvoller Mezzosopran. Pauli wandte sich abrupt zu mir um, ich straffte den Rü-
    cken, um ihn wenigstens einen Zentimeter weit von oben herab ansehen zu können. Ich hätte den Willenskampf verloren, hätte nicht genau in diesem Moment Paulis Handy geklingelt. Seinem Tonfall nach zu schließen war der Anrufer eine wichtige Persönlichkeit.

    «Einen Augenblick bitte, ich gehe in mein Büro.» Pauli versuchte noch, mir einen «Wir-sprechen-uns-noch»-Blick zuzu-werfen, aber anstatt mir Angst einzujagen, verstärkte er nur meine Entschlossenheit.
    «Hör mal, Sirpa, ich finde, es ist höchste Zeit, über eine Trennung nachzudenken. Mit Ari sind schon genug Gespräche ge-führt worden. Er ist nicht bereit, eine Therapie zu machen, und selbst wenn er bereit wäre, dauert es lange, bevor etwas dabei herauskommt. Meiner Meinung nach solltest du nicht mehr nach Hause gehen. Wir können uns an das Sozialamt wenden, die sollen euch eine neue Wohnung besorgen. Ihr wohnt doch zur Miete?»
    «In Aris Dienstwohnung.»
    «Also bist du praktisch obdachlos. Damit müsstest du auf der Warteliste ziemlich weit nach oben rücken, zumal du drei Kinder und kein eigenes Einkommen hast.»
    «Aber das geht doch nicht!», rief Sirpa mit schriller
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