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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Zeit zu sterben
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schreibt das Protokoll», sagte sie und wies auf eine junge, orientalisch aussehende Frau, die am Computer saß.
    Die Kommissarin berichtete, dass Pentti Ahola seiner Frau mit dem Schürhaken Dutzende von Schlägen an Kopf und Oberkörper beigebracht hatte. Auf dem Tisch lagen Klarsichthüllen mit Fotos von der Leiche; ich wollte sie nicht sehen.

    «Die Staatsanwaltschaft wird Pentti Ahola wahrscheinlich wegen Mordes anklagen», meinte Kallio. Die Adern auf ihrem Handrücken standen hervor, ich konnte sie pulsieren sehen.
    «Aber für eine Mordanklage braucht es Beweise. Eine Begründung könnte neben der außergewöhnlich brutalen Tötungsweise die Tatsache sein, dass Ahola seine Frau mehr als fünf Jahre lang systematisch misshandelt hat. Du bist doch bereit, das zu bezeugen?»
    «Natürlich, auch wenn es jetzt zu spät ist», antwortete ich so bissig, dass Kallio die Augenbrauen hochzog.
    «Ich bin der gleichen Meinung. Irja Ahola hat nichts mehr davon, wenn ihr Mörder zwölf Jahre im Gefängnis sitzt. Aber du könntest deinen anderen Klientinnen erklären, dass Staatsanwältin Reponen in Fällen von Gewalt in der Familie eine schär-fere Gangart einschlägt als ihre Vorgänger. Mit einer Geldbuße kommt man nun nicht mehr unbedingt davon. Fangen wir mit der Vernehmung an. Anu, schaltest du bitte das Aufnahmegerät ein?»
    Nach den Routinefragen lehnte sich Kallio zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Geste wirkte drohend.
    «Wann ist Irja Ahola zum ersten Mal ins Frauenhaus gekommen?»
    «Im Mai dreiundneunzig.»
    Ich erinnerte mich noch gut daran. Die rundliche, grauhaarige Frau war schnaufend aus dem Taxi gestiegen, die Hand vor der blutenden Nase. Am ersten Tag hatte ich nur den Namen aus ihr herausbekommen. Am nächsten Tag hatte sie angefangen zu erzählen. Ihr Mann war von Anfang an gewalttätig gewesen, aber in den ersten dreißig Jahren der Ehe hatte es «nur so Klapse» gesetzt, wie Irja sich ausdrückte. Das heftige Prügeln hatte Weihnachten zweiundneunzig angefangen, als die Elek-troinstallationsfirma, bei der Pentti Ahola arbeitete, in Konkurs gegangen war und er seine Stelle verloren hatte.
    Das Frauenhaus hatte versucht, den Aholas zu helfen. Wir hatten Versöhnungsgespräche geführt und eine Gesprächsgruppe für Männer angeboten. Irja war kein einziges Mal bereit gewesen, Anzeige zu erstatten. Ihre religiöse Überzeugung hatte es ihr verboten, und es war ein Prinzip des Frauenhauses, die Klientinnen zu respektieren. Dieses Prinzip hatte Irja das Leben gekostet.
    Erst als ich die Vorfälle mit Kallio besprach, merkte ich, wie viele Fehler ich gemacht hatte. Beim letzten Mal hatten wir Irja mit einer gebrochenen Rippe in die Klinik bringen müssen, aber vor den Krankenschwestern hatte sie behauptet, sie wäre auf der Treppe gestolpert. Sie hatte Angst, das Krankenhausperso-nal würde die Polizei informieren.
    Nach der Vernehmung war mir speiübel. Kriminalmeister Wang druckte das Vernehmungsprotokoll aus und bat mich zu unterschreiben. Kallio sagte, die Staatsanwaltschaft würde sich bald mit mir in Verbindung setzen. Aus ihren Gesten schloss ich, dass ich gehen sollte. Ich blieb aber sitzen. Unschlüssig drehte ich den Konfirmationsring an meinem rechten Ringfinger und sagte schließlich:
    «Ja, also … Sirpa Väätäinen und ihre Kinder sind heute wieder in den Schutzhafen gekommen.»
    Im vorigen Herbst hatte ich mit Kallios Dezernat zu tun gehabt, als sie dort Material für die Ermittlungen gegen Ari Väätäinen zusammenstellten. Seine Frau Sirpa war schon seit ein paar Jahren Klientin des Schutzhafens. Als Ari sie zum dritten Mal krankenhausreif geschlagen hatte, gestand ich mir zum ersten Mal ein, dass Versöhnung und gute Ratschläge nicht in allen Fällen von häuslicher Gewalt halfen.
    Der Polizist, der die Voruntersuchung leitete, war beim Verhör ausgerastet und hatte Väätäinen geschlagen. Später hatte Vää-
    täinen sein Geständnis widerrufen und behauptet, der Polizist hätte ihn unter Druck gesetzt. Schließlich hatte Sirpa den Staatsanwalt gebeten, die Anklage fallen zu lassen, doch der hatte abgelehnt. Das Urteil, eine Geldbuße, fand ich ungerecht, weil die ganze Familie darunter zu leiden hatte, dass kein Geld im Haus war.
    Als ich von den Väätäinens sprach, schloss die Hauptkommissarin kurz die Augen und in ihrem Gesicht zuckte es. Kommissar Ström, der Ari Väätäinen beim Verhör geschlagen hatte, war nach dem Vorfall suspendiert worden, und ein
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